Kosmetik und die Ethik

Kosmetik und die Ethik

Über unser verkrampftes Verhältnis zur ästhetischen Medizin

Auslöser für diesen Blogpost war ein Schweizer Dokumentarfilm von Samuel Bürgler, der kürzlich auf SRF ausgestrahlt wurde: „Das optimierte Gesicht“.

Der Film ist eine seltsame Mischung aus super Werbespot für Schönheitskliniken und fast schon sektiererischer Moralpredigt gegen jegliche Art von ästhetischer Selbstoptimierung. Da ich nach der Lektüre von Online-Kommentaren (SRF Facebook) feststellte, dass ich nicht die Einzige bin, die der Film irritiert zurückliess, will ich hier versuchen, das Unbehagen zu analysieren.

Eigentlich wird ein interessantes Thema behandelt: die boomende Schönheitschirurgie, bei der die Schweiz zahlenmässig weltweit eine Spitzenposition einnimmt. Laut der Gesellschaft Swiss Plastic Surgery werden in der Schweiz pro Jahr schätzungsweise rund 90’000 Schönheitsoperationen durchgeführt.

Diese Zahl hat mich überrascht, denn mir scheint es manchmal, dass es bei uns in bestimmten Kreisen fast verpönt ist, sich überhaupt schön zu machen. Und mit «schön machen» meine ich die «oberflächlichen» Dinge wie Haare, Make-up und Mode. Und dann eben invasivere kosmetische Eingriffe. Mein Lieblingsthema…

Offenbar sind wir Schweizer*innen einfach extrem diskret bei diesem Thema: Schämen wir uns, eitel zu sein? Zudem kosten solche Behandlungen Geld, und auch darüber spricht man ja bei uns nicht gern. Also legt man sich mit schlechtem Gewissen unters Messer.

Bezeichnend für diese Haltung ist, dass im Film als Einspieler zwischen den wirklich sachlichen und informativen Reportagen über hauptsächlich zwei chirurgische Eingriffe (Oberlid-Straffung im einem Fall und Hals-Lifting im anderen) eine «Ethikerin» befragt wird. Das suggeriert: Kosmetische Eingriffe müssen also unethisch sein! Ich meine: Warum hat man nicht eine Psychologin befragt? Das wäre durchaus gerechtfertigt und sicher auch interessant. Aber vor allem: nicht wertend.

Die Aussagen dieser Ethikerin (die Theologin (!) Dr. Ruth Baumann-Hölzle) waren aber sehr vorurteilsbehaftet und zudem derart banal und gespickt mit Poesiealbum-Plattitüden im Sinne von «Schönheit kommt von innen / Geld macht nicht glücklich», dass man kopfschüttelnd zurückbleibt. Es mutete fast schon komödiantisch an – unfreiwillig, versteht sich. Dazu muss ich sagen, dass ich Frau Dr. Baumann-Hölzle in anderem Kontext (wo es besser passte) auch schon durchaus vernünftig habe reden hören. Ihre Beiträge waren hier entweder schlecht editiert oder aus dem Zusammenhang gerissen.

Auch wenn man gegenüber ästhetischer Chirurgie kritisch eingestellt ist, was ich übrigens absolut ok finde, muss man wohl zugeben, dass die beiden Hauptbeiträge im Film beste Beispiele für absolut nachvollziehbare kosmetische Wünsche von ganz normalen Menschen wie du und ich sind: ein wacherer Blick, ein strafferer Hals. Bei beiden Frauen hätte es, wäre ein Hollywood-Doc am Werk gewesen, noch ganz viel anderes zu optimieren gegeben. Aber die Beiden hatten lediglich etwas, was sie extrem störte, korrigieren lassen und waren danach sehr happy. Wie nach einem gelungenen Termin beim Coiffeur.

Hier Ethik ins Spiel zu bringen, ist meiner Meinung nach übertrieben zwinglianisch: Was nicht absolut lebensnotwendig ist, ist dekadent und deshalb zu verurteilen.

Ich gehe offen damit um, dass ich regelmässig «etwas machen lasse». Wie das in anderen Ländern und Kulturen ganz normal ist. Und muss dabei anscheinend in Kauf nehmen, als oberflächlich zu gelten oder von gewissen Leuten nicht ernst genommen zu werden. Das ist mir aber – je älter ich werde, desto mehr – herzlich egal. Gerne bin ich eine Elle Wood in meinem Umfeld (siehe Filmtipp am Schluss)!

Es ist ja übrigens lustig, wie viele Leute sich dann eben doch dafür interessieren, wie, wo und was ich so alles machen lasse. Ich bekomme dauernd (via PM! Sicher nicht öffentlich!!) Anfragen von Freund*innen für Tipps und Empfehlungen. Und ich gebe immer gerne Auskunft, auch wenn einige dann nicht so offen damit umzugehen bereit sind wie ich. Das muss jeder für sich entscheiden. Ich merke es sowieso meistens, wenn jemand nicht nur wegen «viel Wasser trinken und Yoga» so jugendlich frisch aussieht…

Die Ethikerin im Film beklagt auch, dass die Schönheitsindustrie alle «gleich machen» wolle und jegliche Individualität dabei verloren gehe. Dies trifft aber nur auf die schlechten Beispiele zu, wie all die jungen Instagram-Models mit den gleichen Lippen, Hintern, Cat-Eyes und Mega-Augenbrauen etc… Das finde ich auch bedenklich.

Nur ging es bei den Fällen im Film ja um etwas ganz anderes: die Machbarkeit im Kleinen. Die Möglichkeit, zu optimieren, was stört. Innen- und Aussenbild, vor allem im fortgeschrittenen Alter, wieder zur Übereinstimmung zu bringen. Spuren von Schicksalsschlägen, die überwunden sind, auszuradieren und damit einen Neubeginn zu feiern. Was soll daran unethisch sein?

Ruth Baumann-Hölzle fragt in der zweiten Hälfte des Films süffisant und natürlich rein rhetorisch: «Was ist wichtiger: Eine schöne Visage oder ein gelebtes Leben?». Darin sehe ich absolut keinen Widerspruch!

Ihre Antwort folgte aber gnadenlos: Der Alterungsprozess – und damit die sich manifestierende Vergänglichkeit – soll nicht künstlich aufgehalten werden, weil er uns ja «aufs Sterben vorbereitet»! Ernsthaft! Eine Freundin bemerkte dazu nur trocken, dass im Fall sogar Tote für den Sarg künstlich schön gemacht werden (LOL!).

Mein Schlusswort: Ich lebe lieber dekadent und zufrieden mit einer aufgefrischten «Visage», als mich mit 50 schon mal vorsorglich aufs Sterben vorzubereiten!

Die Diskussion ist hiermit eröffnet!

Filmtipps:

  • Das optimierte Gesicht von Samuel Bürgler (SRF 2021): Der Stein des Anstosses…
  • Legally Blonde: sträflich unterschätzter Klassiker aus 2001 mit der wunderbaren Reese Witherspoon über die angehende Harvard-Juristin Elle Wood, die allen zeigt, was die Waffen der Frau so können… Eine auf den ersten Blick belanglose Hollywood Komödie mit zutiefst feministischer Message.

In Zürich geboren und aufgewachsen, habe ich zunächst Japanologie studiert, und als mir das Japanisch Lernen nicht schnell genug ging, wanderte ich Ende der 80er Jahre nach Tokio aus, wo ich schliesslich heiratete, 2 Kinder bekam und 10 Jahre lebte. 1997 kehrte ich mit den Kindern in die Schweiz zurück und lebe seit 2003 mit meinem jetzigen Mann und dem gemeinsamen Sohn wieder in der Stadt Zürich.
Aus Interesse für das Reisen absolvierte ich eine Zusatzausbildung in Tourismusmarketing, war Kommunikationschefin eines japanischen Kosmetikunternehmens und arbeitete in verschiedenen PR-Agenturen, wo ich hauptsächlich Beauty-, Lifestyle- und Modemandate betreute. Heute organisiere ich Ärztekongresse, habe mir aber die Begeisterung für Beautythemen, Japan, Reisen und das Schreiben bewahrt. Zudem esse, trinke, koche und mixe ich mit Leidenschaft, Exotisches ebenso wie Bodenständiges. Ich liebe die Popkultur, und das ist mir kein bisschen peinlich.

Muriel sagt:

Danke Kathrin! Bin voll deiner Meinung und fühle mich jetzt leichter & freier. jeder muss für sich entscheiden und dafür kein schlechtes Gefühl haben müssen. 😀

Kathrin sagt:

Danke liebe Muriel! 🥰🥰🥰

Cynthia Wolfensberger sagt:

Vielen Dank für deinen Text. Je länger die Sendung dauerte, desto mehr ärgerte mich die Ethikerin. Sie schien zu keiner reflektierten Aussage bereit, sondern suchte nur nach Gründen die Kunden der ästhetischen Medizin zu diffamieren.

Kathrin sagt:

Liebe Cynthia
Genau, danke! Ihre Aussagen sind wirklich nicht differenziert, drum einer Ethikerin unwürdig.

Gerda-Marie Adenau sagt:

Liebe Kathrin, Danke für Deinen anregenden Beitrag. Du sprichst ein heißes Thema, an. es berührt Tabus, Scham und die Frage nach der Ehrlichkeit. Es betrifft nicht nur unseren Körper, sondern auch unseren Leib. Meine Meinung dazu: Gönnen wir uns doch die Freude, in ein Spiegelbild zu schauen, das uns gefällt. Und freuen wir uns, wenn wir Menschen mit Ausstrahlung treffen. Ob nun mit oder ohne Botox.

Kathrin sagt:

Liebe Gerda-Marie
Vielen Dank! Ganz genau, das sehe ich auch so. Alles Liebe!

rebekka sagt:

ja, meine Wimpern, die klimpern in der Tat sehr schön zur zeit….:)) – dank deiner Tipps !

Kathrin sagt:

Super 🤩👌🏽!

Kathrin sagt:

Liebe Rebekka! Danke Dir!
Das mit der Sucht ist definitiv ein Thema. Sehe das bei mir selber: wenn Zeit und Mittel vorhanden wären, keine Ahnung, was ich schon alles gemacht hätte! Da bin ich ganz ehrlich. Bei den Wimpern fängts ja schon an! 🙂
Aber zum Glück ist alles so teuer, und ein Facelift (downtime) zudem zeitaufwendig:-). Da gehe ich also lieber richtig schön in die Ferien.
Aber ja, das mit der Sucht wäre mal ein Thema für sich!
Alles Liebe!

Rebekka sagt:

liebe Kathrin
vielen Dank für diesen erfrischenden Beitrag!
Ich teile Deine Meinung von A-Z
Ich habe mich vor ein paar Jahren beraten lassen, wegen familiärer Veranlagung zu Schlupfliedern, die mit den Jahren zunehmen wird – wohin das dann führt, kann ich auf den alten Familienfotos sehen….
Ich hätte noch Zeit, sagte mir die Spezialistin – und ich war erleichtert.
In meinem Umfeld gibt es in paar wirklich gelungene Beispiele von Auffrischungen jeglicher Art.
Es sieht natürlich aus und ist nur für Kenner sichtbar.
Ob ich mich eines Tages dafür entscheiden werde, weiss ich nicht.
Kann gut sein ja, kann gut sein nein.
In meinem Beruf sind die Spuren der Jahre wichtig für Ausdruck und Tiefe.
Aber eben, es geht um das richtige Mass denke ich.
Die grosse Frage für mich: Was ist mit dem Faktor Sucht? Also, nicht mehr aufhören zu können damit.
Das schreckt mich hauptsächlich beim Gedanken an Eingriffe.
Und natürlich die Spritzen ins Gesicht und nahe beim Auge – ui ui ui

herzlich
Rebekka

Leave a comment :