Ein wilder Ritt

Ein wilder Ritt

Es kommt nicht auf die Grösse an. Sagen sie. Sie auch? Also ich hab da so meine Erfahrungen…

Man muss ja aufpassen heutzutage, was man so sagt über Typen wie ihn. Mit einem wie ihm hatte ich schon mal zu tun. Allerdings war das einer von der ganz harten Sorte, nicht mehr jung, er gehörte zu den älteren Semestern, zu denen, denen man ansieht, was sie erlebt haben. Spuren von unzähligen Abenteuern überzogen seine äussere Hülle, Narben, Dellen, die man nicht ausgebügelt hatte, sondern liess, ein bisschen wie Trophäen eines ungezügelten Lebens. Er hiess Willys, was auf eine Geburtsstunde irgendwann zwischen der Endphase des Zweiten Weltkrieges oder den späten 1950er-Jahren schliessen liess, so genau weiss ich das nicht mehr, man sah dem robusten Kerl sein wahres Alter nicht an. Er war brutal simpel gestrickt, befriedigte die Grundbedürfnisse und man erntete wissende Blicke, wenn man mit ihm irgendwo auftauchte: Da steht eine auf Urtypen, liebt das Rudimentäre, das Martialische vielleicht sogar, schert sich nicht um Sicherheit und Komfort, no, she likes the bad boys.


Schmerz für die Augen

Der, den ich jetzt besteigen durfte – man muss wirklich weit ausholen, lange Beine sind da entschieden von Vorteil, um noch eine halbwegs elegante Performance hinzulegen – hat optisch mit dieser Erfahrung aus meinen 20ern nur noch die Rasse gemeinsam. Aber die Erwartungen sind hoch, es möchte sich doch bitte das gleiche machomässige Gefühl einstellen von Überlegenheit, von nimm-mich-mit-zusammen-sind-wir-unbesiegbar, von bei-mir-bist-Du-sicher-come-sunshine-or-rain. Tut es auch, anfangs. Ich versuche, ihn auf Touren zu bringen, er tut sich schwer, über 2,2 Tonnen Leergewicht sind schliesslich eine Ansage, seine 272 PS helfen da nicht wirklich. Man möchte ihn antreiben, aber in unserer Klimabilanz gesteuerten Welt ist es eigentlich schon ein Affront, sich überhaupt mit einem Transportmittel auseinanderzusetzen, das das grellrote G in der Energieeffizienz-Skala anzeigt. Also besser nicht Pedal-to-the-Metal. Bleibt genügend Zeit, sich mit dem Innenleben auseinanderzusetzen. Der Fashionista in mir sticht sofort ein schmerzlicher Fehlgriff ins Auge. Der Jeep Wrangler JL Unlimited Rubicon hat eine Firecracker-Rot benamste Lackierung, ein bisschen wie das klassische Lippenstift-Rot Rouge von Chanel. Die dekorativen Plastikteile aber, die sich am Armaturenbrett und überall finden, sind aus irgendeinem Fiat Chrysler Automobil-Restekoffer gezogen worden, so ein ermattetes Tomatenrot mit blassem Pseudoglanz, in der Kombination ein Schmerz für die Augen (FCA: Dann lieber die kleinen Schwarzen, ehrlich). Aber wir sind ja nicht mit ihm unterwegs, um einen Fashioncontest zu gewinnen. Was ich hingegen mag: Details. Überall ist ein kleiner Jeep als Icon aufgeklebt oder eingelassen, am Schaltknüppel, sogar an den Felgen. Und die schweren Scharniere, die finde ich auch toll. Geht doch.

Sti(e)llos

Die Sitzposition ist erhaben. Man hat das Gefühl, oberhalb der Dachkante eines 911er zu thronen und die Strasse zu überschauen. Top. Mit dem Riesenlenkrad hat man ordentlich was in der Hand und unendlich viel Platz, die 1.80 Meter Gesamthöhe geben ein luftiges Gefühl.

Wo der alte Willys einen geschätzt einsfünfzig Meter langen Ganghebel hatte, mit dem man mit Muskelkraft die Ritzel bearbeiten musste, hat dieser Jeep so ein stummeliges kurzes dickes Ding, was ja ganz ansprechend in der Faust liegt, wenn man es denn bedient, was man ja aber selten muss, denn es ist ein Automatik.

Ein Automatik! Allein das schon ein Affront in einem Geländewagen. Eigentlich. Ja klar, wie es heute üblich ist, kann ich den Witz von Schalthebel in die M-Position für manuell stellen und so tun als würde ich selbst schalten. Dann wechselt er aber genau so ungern die Gänge, entscheidet sich nicht immer so, wie man möchte, um zügig voranzukommen, eher spät, also lässt man es, bleibt im Automatikmodus, resigniert. Nein, lieber handgeschaltet, dann kann man bewusst seinen Gedanken nachhängen, bis der Gang eingelegt ist und nachspüren, man weiss ja dann.

(K)ein Platz im Leben

Was macht man mit so einem Biest mit Lamminnenleben? Wild durch die Stadt cruisen? Die Energiebilanz erwähnt man besser nicht. Und wenn man sich in die eh schon volle Urbanität mit diesen 4.88 Metern Blech und Plastik eingliedern will, fühlt man sich total fehl am Platz. Statt anerkennender Blicke erntet man Kopfschütteln und das ist irgendwie auch nachvollziehbar.
Sogar ausgebremst wird man, geschnitten, und in den engen Parkhäusern eines Supermarktes ist man genau so fehl am Platz wie ein U-Boot in der Badewanne (ein geklauter Vergleich, old school F1-Piloten sagten das über das Navigieren ihrer Boliden in einem engen Stadtkurs wie beispielsweise in Monaco). Also raus aufs Land. Aber wo denn? Ausser man nennt eine eigene Jagd sein Eigen oder hat eine Kiesgrube oder ein Châlet in den Bergen: Ohne geteerte Strassenzufuhr braucht man so eine Uridee eines 4X4 Riesendingens einfach nicht. Und nur zum einfach Sitzen und sich-erhaben-fühlen, ist es zu viel Auto, dafür könnte man auch mal kurzfristig – verbotener Weise – einen Hochsitz am Waldrand besteigen, das ist umweltschonender und gibt einem wenigstens das Gefühl von Weitsicht.

Sinn und Unsinn

Fazit: Der Ritt ist wild, weil dieser Jungspund, mit dem 80 Jahre Jeep gefeiert werden sollen, direktes Lenkverhalten für überflüssig hält, man muss arbeiten, wenn man rangieren will. Und Gross ist gut. Wenn man keine anderen Ansprüche hat. Ansonsten nein danke. Vielleicht wenn ich mal eine Farm habe und eine halbe Stunde von der Haustür bis zu meinem Briefkasten fahren muss, dann gerne in so einem Jeep Wrangler JL Unlimited Rubicon. Aber dann in einer weniger auffälligen Farbe und der Klimazustände geschuldet als 4xe Plug-in-Hybrid (den es seit Neuestem gibt). Ich weiss, das tut weh, Willys, aber es wäre konsequent. Die wehmütige Erinnerung an den unzähmbaren Kerl von damals bleibt. Versprochen.

PS: Der Testwagen, den ich bewegen durfte (eigentlich nur, weil meine Tochter ihn zur Verfügung hatte und damit lustige Dinge angestellt hat), kostet(e) in der Basisversion 70 500 Franken (Preise ändern sich…), so wie er da stand mit all der Sonderausstattung, die Testwagen so zu haben pflegen, 79 195 Franken.

Meine persönliche Freiheit ist untrennbar mit Autos verbunden. Worden, geblieben, und intensiviert. Ich komme aus Lübeck, habe die Tür zur schreibenden Zunft bei Auto Bild in Hamburg geöffnet bekommen und seit da nie mehr aufgehört, mich mit dem Thema Auto/Mobilität zu befassen. High Tech und tiefgehende Fachartikel kann ich nicht, das vermögen diverse arrivierte Kolleginnen und Kollegen der Fachpresse viel besser. Ich kann Emotionen, Leidenschaft, erlaube mir, ganz authentisch über Mensch und Maschine zu schreiben. Und manchmal, manchmal ist das Thema so richtig sexy, ich erlebe Dinge, die unter die Haut gehen, oder zu Hau(p)tsachen werden. Als Freelance Journalistin schreibe ich seit 1997 in der Schweiz für ganz unterschiedliche Magazine. Ein sehr breites Portfolio darf ich inzwischen bespielen, ein unfassbares Glück.

Simone sagt:

Soooo geil geschrieben! Highlight des Tages! Danke.

Dörte Welti sagt:

Merci, Simone, glad to be your highlight of the day!

Kathrin sagt:

Einfach köstlich, ;-). Hatte ich irgendwie verpasst!

Kenne den Zwiespalt nur zu gut, Klima gegen Auto… möchte meinen auch nicht missen…

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