Im Strandkorb

Im Strandkorb

Nun ist die Hälfte der Schulferien vorbei und meine Ferien mit den Kindern schon ganz durch. Nächste Woche verreisen sie mit dem Vater. Vor mir liegen zwei Wochen sturmfrei, das heisst: ein Haus für mich alleine ohne Kinder. Die Freude darob hält sich heuer jedoch in Grenzen. Früher hat mich die Aussicht auf zwei Wochen sturmfrei vor Freude fast um den Verstand gebracht und mich innert Tagesfrist in die totale Verwahrlosung getrieben. Ich habe nur noch Chilis gegessen – Pasta mit Chili, Rührei mit Chili, Schokolade mit Chili – und dazu schon am Mittag ein Bier getrunken. Geduscht habe ich selten, dafür gab’s ja einen See und einen Sommer. Die Hälfte der Zeit schlief ich auf dem Sofa oder draussen in der Hängematte und dies Tag und Nacht. Was vom Tag übrigblieb, habe ich der Kunst gewidmet, genauer dem Malen, und dazu bei offenen Fenstern französischen Elektropop (Polo&Pan) dröhnen lassen, bis ein Nachbar mal nachschauen kam, was da eigentlich los war. Meistens endete dieses «zum-Rechten-schauen» in einem Gelage. Ich inspiriere die Menschen zu Ausschweifungen, war schon immer so. Man sagt dem auch «einen schlechten Einfluss haben». Als Gender noch nicht so ein Thema war, nannte man das ein Junggesellenleben, denn Frauen waren zu sowas nicht fähig. Die Rückkehr zu einem geordneten Alltag fiel mir allerdings nie schwer. Ich hatte die Kinderfreiheit ausgekostet, irgendwann schmeckt sie schal.
Dieses Früher ist gar nicht mal so lange her, vielleicht fünf Jahre. In dieser Zeit sind meine zwei knubbligen Glacé-und-süsch-iss-ich-nüt-nei-nei!!!-Monster zu zwei jungen Mädchen herangewachsen, mit denen man alles unternehmen kann, alles essen kann, inklusive Austern, zu jeder Zeit, auch spät, wenn die Familien mit den Kleinkindern weg sind, und mit denen man einfach grossen Spass haben kann. Ein wenig militärischer Drill hat’s gebraucht, aber der zahlt sich nun aus. Ausserdem sind Teenies einfach das grösste! Sie sind kleine, putzige Versionen von der Vorstellung, die man einmal von sich selber hatte. Und sie sind in ihrer Tapsigkeit so herzerwärmend lustig, dass man ihnen einfach alles verzeihen und sie endlos verwöhnen muss. Ach, ich vermisse sie schon jetzt!

Ich wollte gar nicht von meinen Kindern schwärmen, sondern von der Ostsee. Dort waren wir nämlich. Die Ostsee ist wunderbar. Sie ist ein bisschen kalt und ein bisschen rauh und trotzdem ein bisschen flach. Man hat das Gefühl, man könne ewig ins Meer hinauswaten Richtung Horizont und nie untergehen. Doch dann taucht plötzlich ein riesiges Schiff vor einem auf und man wähnt sich am Abgrund des Ozeans. Die Luft ist voller Möven, die dreimal so gross sind wie diejenigen am See. Sie segeln und kreisen aufgeregt um das riesige Schiff und kreieren zusammen mit den Wellen und dem Wind, dem Hupen des Schiffs und ihrem Geschrei diesen typischen Soundteppich der See. Es riecht nach Frische und Salzwasser und je nach Windrichtung immer auch etwas brackig und nach verfaultem Fisch. Dazu liefern die langgezogenen Strände mit den pittoresken Strandkörben die passende Kulisse. Es gibt nichts Heimeligeres als so ein Strandkorb. Er ist wie eine kleine Stube, in die man sich flüchten kann, wenn man nass und schlotternd aus dem Meer kommt und der Wind einem erstarren lässt. Schnell in den Bademantel gewickelt im Strandkorb versinken, wo man herrlich windgeschützt auf das Meer schauen kann.

Und plötzlich regnet es aus irgendeiner Wolke, manchmal nur ein paar Tropfen, manchmal ist’s aber auch ein richtiger Schauer! Auf der einen Seite pechschwarze Wolken, auf der anderen Seite Sonne, blauer Himmel und dazwischen die perfektesten Regenbogen – manchmal gleich zwei aufs Mal! So schnell der Regen begonnen hat, so schnell endet er auch wieder. Die Wolken werden einfach weggeblasen und nur eine nasse Zeitung und ein verregnetes Glas Wein erinnern noch daran, dass es geregnet hat. Ich bin täglich sicherlich zweimal nassgeregnet worden und habe trotzdem den Eindruck, nur wunderbares Wetter gehabt zu haben.
Ich habe zur Hälfte ostdeutsches Blut in mir, weshalb mir wohl 25 Grad im Schatten vollständig reichen. Überhaupt: Das Wetter, der Strand, der Strandkorb und die Ostsee – das ist wie heimkommen. Liegt wahrscheinlich auch am schönen Hotel. Und daran, dass ich an einem Ort, wo es immer herrlich frische Austern gibt, wunschlos glücklich bin. Die andere Hälfte in mir ist nicht so gut verortet wie die germanische, sie schwankt immer ein bisschen zwischen Italien und Frankreich und ist wahrscheinlich auch für die gelegentlichen Ausschweifungen verantwortlich. Doch eines haben beide Seiten in mir gemeinsam: Sie sind total verfressen. Schöne Ferien!

Ich bin in Wettswil a./A. geboren, mitten in die Mittelschicht hinein und verbrachte eine behütete Kindheit auf dem Dorfe. Als pubertierende Gymnasiastin fabulierte ich gerne über die Fesseln des Kapitalismus und die Freiheit des Kommunismus, während ich mich träge am Rande des elterlichen Swimming-Pools räkelte. Nach der Matur und dem obligaten Sprachaufenthalt folgte ein Psychologiestudium. Nebenbei kellnerte ich und war vermutlich die schlechteste Bedienung der ganzen Stadt. Was aber in den 80-er Jahren total egal war, Hauptsache man trug wasserstoffblonde Haare. Die nächsten 20 Jahre verbrachte ich in der Werbung als Grafikerin und Illustratorin, bis ich unbedingt etwas ganz anderes machen musste. Kinder, zwei. Zusätzlich machte ich eine Ausbildung zur Maltherapeutin und eröffnete ein Malatelier für Kinder. Ich habe Zeit meines Lebens geschrieben. Als letztes für Giacobbo/Müller, SRF Comedy und als Kolumnistin für verschiedene Publikationen. Ich lebe mit meinen beiden Töchtern und einer sehr dicken Katze in Zürich. Ein gewisser Hang zur Ironie des Lebens ist mir aus den Tagen am Pool geblieben, auch wenn ich es heute um einiges leichter und mit viel mehr Humor nehme als damals.

Leave a comment :