Langsam, DU MUESCH ES GNÜSSE...

Langsam, DU MUESCH ES GNÜSSE…

Ich bin gierig. Vor allem in Bezug auf Essen. Da kann ich mich einfach nicht beherrschen.

Das ist ziemlich unsexy, ich weiss.

Angefangen hat es schon als kleines Mädchen. Meine Mutter war sehr bewusst im Umgang mit Nahrung und Zucker, und so gab es bei uns nie was anderes zu trinken als Mineralwasser. Ohni Blöterli, versteht sich. Wenn wir mal auswärts Essen gingen – das kam selten vor bei einer Rasselbande von sechs Kindern – durften wir uns selber ein Süssgetränk bestellen.

Ich entschied mich natürlich prinzipiell immer für Coca Cola, das hat schliesslich am meisten Zucker. Glückselig und mit überzuckertem Gesicht strahlte ich nach 20 Sekunden in die Runde, weil ich das Gesöff SOFORT leergetrunken hatte. Auf die verwunderte Frage der Familie, wo denn meine Cola verblieben sei, sagte ich «fätig trunke».

«Du muesch es gnüsse, Chind», waren dann die Worte, die ich hörte und die für mich überhaupt keinen Sinn ergaben, weil: Ich hatte ja genossen, einfach schneller.

An Weihnachten, wenn wir uns alle treffen, werden dann die Geschichten zum Besten gegeben, in denen ich und das Essen eine zentrale Rolle spielen. So nötigte ich mit ca. sechs Jahren meinen armen Vater im Restaurant, weil alle Kartoffelstock mit riesigen, roten Tomaten serviert bekamen und ich in meiner kindlichen Naivität glaubte, es handle sich um Riesenerdbeeren. Ja, ich war mir sicher, die geilsten, fettesten Erdbeeren ever ziehen einfach an mir vorüber. Ich war so entrüstet, dass ich niemals in den Genuss davon kommen könnte, dass mein Theater die Aufmerksamkeit von allen Gästen auf sich zog und meine Eltern zerknirscht nachgaben. Als das Bestellte dann kam, sah mir mein Vater grinsend zu, wie ich unglücklich die vermeintlichen Riesenerdbeeren von links nach rechts schob.

In der Nachbarschaft war ich bekannt als diä Italo Grüsel, die Kaugummi vom Asphalt kratzte (nur pinkigen!!!), um eine Kaugummisuppe zu kochen. So ist es auch heute noch (nein, nicht mit dem Kaugummi, das habe ich aufgegeben). Meine Augen sind manchmal grösser als der Magen und manchmal wiederum umgekehrt.

Während andere andächtig für Wochen kauen, ist mein Teller schon leergefegt. Zudem habe ich bis dann auch alles Brot verschlungen, das ich leidenschaftlich in die Sauce tunke, weilst andere nach jedem Bissen noch schwärmen, wie toll doch die Kombination von Himalayasalz mit dem von Ziegen gepflückten Kräuterbouquet rieche. Ich sitze dann mit vollem Mund und saubergelecktem Teller vis-à-vis und gebe Antworten wie: «fldjnvaf jj hfbqew i jhkyfdmmpf».

Auf schrilles «Was, du bisch scho fertig?!?» reagiere ich mit Vorliebe mit «Nei, stell der vor, ich han mis immer nonig übercho.».

Und tatsächlich kann ich meistens sowieso locker noch eine zweite Portion verspeisen. Nix mit elegantem Rumstochern und herzigem «ich kann nicht mehr». Nee! Mittlerweile hat es sich etabliert, dass alle ihre Teller, die nicht leergegessen sind, mit meinem blanken Teller austauschen, damit keiner mehr auf unangenehme Fragen wie «Hät’s nöd gschmöckt?» antworten muss. Versteht mich nicht falsch, ich weiss gute Küche durchaus zu schätzen und bin auch wählerisch, aber ich bin grosszügiger in der Auslegung, sofern der Preis kein Affront ist. Ich habe sogar bei Spitalbesuchen die Ghackets und Hörnli mit Genuss verspeisst, die von dem von mir besuchten Patienten mit Entrüstung verweigert wurden. Mehr noch, ich fand sie richtig fein.

Als ich meinen Mann kennenlernte, bekochte er mich gekonnt und erlesen. Das einzige Problem: Ich hatte danach ausnahmslos immer noch Hunger, während er satt war. Natürlich gab ich das nicht zu und ging danach nach Hause, weiter essen.

Irgendwann blieb ich über Nacht und musste mich spätestens dann outen, als ich gegen Mitternacht eine Pizza brauchte. Seitdem kocht er mir immer «horse portions», wie er es als Engländer charmant ausdrückt.

Ihr müsst verstehen, in einem italienischen Haushalt gibt es immer Brot zu allem. Egal was. Salat zu essen und danach satt zu sein, ist für mich schlicht unmöglich.

Eine Schokoladentafel kaufen und dann ein Reiheli essen? Ich scheitere grandios. Alles oder alles ist meine Devise. Dafür kann ich mich dann auch wieder eine Woche beherrschen, bis die nächste Tafel dran ist.

Das einzige Mal, wenn etwas von mir ganz langsam konsumiert wird, ist dann, wenn ich Wasser trinken muss, das ja bekanntlich erst dann richtig gesund ist, wenn man 4’724’856’983 Liter am Tag trinkt. Jesses, lass ich mir da Zeit und das ganz OHNE Geniessen. Auch Äpfel haben es gut bei mir und überleben relativ lange, ausser sie sind gebacken und/oder in Teig verpackt und mit Schokolade oder Vanillecreme übergossen, dann geht’s (noch) schneller.

Ich bin aus Zürich, habe zwei erwachsene Kinder und bin besessen von Spaghetti. Was aber nicht heisst, dass ich mir glattes Haar wie die Nudel wünsche. Shampoos für lockiges Haar, die mit «für undiszipliniertes Haar» etikettiert werden, boykottiere ich aus Prinzip!

Beruflich habe ich schon auf diversen Hochzeiten getanzt, sei es als Stylistin, Bloggerin, bei Tele Züri in der Runde von Boser & Böser und zuletzt als PR-Managerin für die Schweiz in einem der grössten Kosmetikunternehmen.

Inkorporiert habe ich viel gelernt, endlich mal anständig verdient, dabei aber mich selbst vermisst. Jetzt wandle ich wieder auf meinen ursprünglichen Pfaden – dem fidelen Schreiben auch unangenehmer Themen und das ohne falsche Scham, ganz nach dem Motto: Alter schützt vor Sex nicht.

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