Meine Solokarriere

Meine Solokarriere

Meine grössten und fantastischsten Solos habe ich in Restaurants gegeben. Früher, als ich zwar schon beziehungsfähig, aber noch nicht bindungswillig war, investierte ich ein halbes Vermögen, um in London, Paris, New York, San Francisco, Rom, Florenz, Monteriggioni, Sils-Maria und an der Gertrudstrasse in Zürich meine Gastspiele zu geben. Hier waren die Bühnen für meine unvergesslichen Auftritte parat und boten eine wunderbare Kulisse. Dezentes und gut gesetztes Licht, leise Musik – damals vor allem Jazz, und wenn es richtig stilvoll sein sollte jene des Münchner ECM Labels –, weisses Leinen, scheinende Gläser und grosszügig arrangierte Blumen. Nichts war dem Zufall überlassen, sondern aufs Schönste und Angenehmste inszeniert.

Auch nach Jahrzehnten noch kann ich mich in diese Vorstellungen hineinversetzen. Denn mit den Partnern und der Ehe häuften sich auch die Restaurantbesuche zu zweit in der Agenda. Und wenn wir die unzähligen Lunches im Laufe der Jahre weglassen, welche man noch alleine bestritt, dann kann man diese Soloabende an wenigen Händen abzählen. Sie wurden zu einer Rarität. Kein herzzerreissender Verlust, aber doch eine lieb gehegte Erinnerung. Und wer meint, zu zweit sei man weniger allein, hat das Wundervolle am alleinigen Dinieren nie wirklich entdeckt. Eine Kunstform, die heute wegen unserer Dauerabwesenheit via Smartphone auch nicht mehr so gepflegt wird. Denn, statt sich mit dem Geschehen vor Ort zu unterhalten, fliehen wir heutzutage lieber in Welten, die man bei Unpässlichkeit mit einem Swipe wegwischen kann. Wir sind heute viel weniger gezwungen, uns mit der Unmittelbarkeit von anderen Menschen und Situationen abgeben zu müssen. Aber wer diese reifen Früchte unbegleiteter Restaurantbesuche einmal gekostet hat, weiss, dass man diesen herrlichen Geschmack sein Leben lang in sich tragen wird.

 

Betritt man ein Restaurant allein, ist es von Vorteil, wenn man sich nicht als graues Mäuschen gebärdet, da man sonst oft ans Katzentischchen gesetzt wird. Mit einem fröhlichen, selbstbewussten – aber nicht allzu selbstgefälligen – Eindruck hingegen besteht durchaus die Chance, dass man einen Platz bei den Leuten bekommt. Sollte das nicht der Fall sein, dann schicke ich mich meistens in die Situation und setze mich an den mir zugedachten Tisch. Ich gehöre nicht zu den Leuten, die grundsätzlich noch ein besseres Plätzchen im Restaurant für sich beanspruchen, sondern vertraue ganz auf die Fähigkeiten meiner Gastgeber. Es sei denn, der Tisch wäre eine Zumutung, weil sich dort die Zugluft in Windeseile zu einem Orkan entwickeln kann oder man unfreiwillig Opfer von unerwünschten Gerüchen wird. Aber dann sollte man diesen Restaurantbesuch wohl nochmals in Gänze überdenken. Und zwar gleich sofort, und nicht erst nach der Vorspeise, wenn man nicht mehr in der Verfassung ist, gutes Essen zu würdigen, weil man den Ärger über diese Fehlplatzierung in sich hineingefressen hat.

Doch wenn man sich in aller Zufriedenheit platziert fühlt, dann verspricht der Soloauftritt in einem guten Restaurant eine wahre Köstlichkeit zu werden.

Das beginnt schon mit einem Lächeln der Gastgeber, die uns unaufdringlich ein Glas Champagner, einen Haus-Apéro oder etwas Weisswein ans Herz legen wollen.

Da kann man ja praktisch nur entgegenlächeln, um schliesslich einen Gin Tonic zu bestellen, weil man sich gerade so verwegen fühlt; so allein, mit dem Tisch, den anderen Gästen und dem Lokal.

Und spätestens in diesem Augenblick ist man von der Vorfreude über den bevorstehenden Abend beinahe überwältigt. Man weiss, dass jetzt nur folgen kann, was folgen muss: lukullische Stunden als formvollendetes Ritual. Eine Abfolge gekelterter Kunst kombiniert mit raffiniert zubereiteten Speisen. Und mittendrin unsereiner als Akteur, der mit bestem Wissen und Gewissen (und hoffentlich auch mit vorzüglichen Geschmacksnerven ausgestattet!) Regie führt und das Drehbuch nie aus den Augen lässt. Indem man nach dem Weisswein zur Vorspeise (doch, doch, eine Flasche geht schon) zum Roten übergeht (selbstverständlich eine Flasche), um den Hauptgang zu ehren und sich zum Dessert ein Dreiachtel-Fläschchen Dessertwein (Sauternes oder einen Eiswein?) gönnt, damit der Weg für den Digestif ins kleine Finale schon einmal geebnet ist.

 

Mit jedem Glas und mit jedem Biss wird auch die Gesellschaft etwas bunter und fröhlicher. Und man beginnt dann in leicht transzendentem Zustand andere Menschen anzulächeln, heillos daran scheiternd, einen geistreichen Eindruck zu hinterlassen.

Aber unsereinem macht das schon seit einer halben Stunde nichts mehr aus, weil die Gastgeber nochmals ein Glas von diesem unverschämt guten Tempranillo nachschenken. Ja, es scheint offensichtlich zu sein, dass sie nicht geneigt sind, diesen Lebenskünstler und Genusshelden jetzt schon nach Hause gehen zu lassen.

Denn wie man weiss, sind gute Solisten nicht nur Vieltrinker, sondern auch Wiederholungstäter. Und wenn man als Gastgeber die Kunst beherrscht, diese Menschen für sich zu gewinnen, dann ist das meistens auch ein tatsächlicher Gewinn. Monetär bestimmt, aber manchmal auch persönlich.

Als Solist im Restaurant aufzutreten, verspricht nicht nur Genuss, sondern oft auch Freundschaften. Viele meiner Freundinnen und Freunde habe ich an Nebentischen kennengelernt. Und nicht wenige davon sassen etwas später am eigenen Esstisch zu Hause. Denn, auch wenn ich als Gast eine glanzvolle Karriere hingelegt habe, als Koch am eigenen Herd, da bin ich wirklich ein Meister.

Es ist nicht einfach, als zweites von fünf Kindern aufzuwachsen. Und dann auch noch in einer Familie, in der die Eltern im eigenen Betrieb fast rund um die Uhr beschäftigt sind. Denn Vater und Mutter führten ein Restaurant mit einer Metzgerei, wo sie von morgens um 8 Uhr bis oft weit über Mitternacht auf den Beinen waren. Ja, meine Eltern wussten, was arbeiten bedeutet. Und ich bin ihr Sohn.

Im appenzellischen Trogen aufgewachsen, bin ich von der Hügellandschaft und dem barocken Charakter meines Heimatdorfes schon von klein auf geprägt worden. Die Paläste der Zellweger-Dynastie, die wie Zuckerwürfel um den Dorfplatz verteilt sind, und die Hanglage des Dorfes strahlten für mich schon immer eine Weltoffenheit aus, die ich mit Kühnheit und viel Fantasie erobern wollte.

Mein Eroberungsfeldzug hat mich zwar nur bis nach Zürich gebracht, doch mit der Sprache bin ich schon durch alle Jahrhunderte und Kontinente mäandert und habe Geschichten gefunden und erfunden. Heute arbeite ich als selbständiger Texter für Werbung, Editorial, Private und Unternehmen.

Zudem verbinde ich mit meinem Textil-Label «Cushion Library» Design mit Storytelling in Form von Kissengeschichten aus 100% Seide, gefüllt mit Daunen und Poesie.

Und ich freu mich sehr, meine Erzählungen und Erfahrungen hier mit Ihnen zu teilen.

Stefan Indlekofer sagt:

Wunderbar Chrigi !
Ich hoffe wir sehen uns bald mal wieder .
Lieber Gruß Stefan

Christian Schirmer sagt:

Lieber Stefan
Vielen Dank. Und ja, würde mich freuen. Zeit, wieder mal in St. Gallen aufzutauchen.
Lieber Gruss
Christian

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