In the heat of the night.

In the heat of the night.

Aus aktuellem Anlass möchte ich Ihnen heute davon erzählen, wie es früher war, als es auch mal so warm war wie in diesem Sommer. Ich erinnerte mich letzte Nacht, als ich nicht einschlafen konnte, an vier Gegebenheiten, die aufzeigen, wie ich persönlich Hitze unterschiedlich interpretierte und wahrnahm. Dies über die letzten fünf Dekaden. Vielleicht geht/ging es Ihnen ja ähnlich und Sie haben einen Backflash, und wenn nicht, wo waren Sie denn die letzten 55 Jahre? Am Nordpol?

 

Sommer in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts.
Diese Sommer fanden für mich vorwiegend in der Zofinger Badi statt. Der Weg dorthin führte mich durch die Altstadt, am Bahnhof vorbei über flirrenden Asphalt, der bei der höchsten Temperatur sogar eine Fata Morgana erzeugte. Und der meistens am Abend nach einem Gewitter einen Duft produzierte, der süchtig machen konnte. Regen auf heissem Teer schickt mich gedanklich noch heute in meine Kindheit zurück. Der letzte Kilometer war ein kleiner Feldweg, direkt durch ein Weizenfeld mit roten Mohnblumen. Damals konnte ich den schon trockenen, kurz vor der Ernte stehenden Weizen noch riechen, heute ist meine Nase etwas weniger empfindlich. Manchmal brach ich eine Ähre ab und fingerte die Körner raus, um sie zwischen meinen ursprünglich sehr gesunden Zähnen zu zermalmen. Im Schwimmbad angekommen, platzierte ich als erstes mein Badetuch in der prallen Sonne neben meinem besten Freund. T-Shirt weg und reingehupft ins eiskalte Nass. Duschen oder Annetzen interessierte uns damals weniger. Genauso wenig wie eine Stunde zuwarten nach dem Essen. Oder Sonnencrème. Wir strichen uns gegenseitig mit «Eutra» ein. Ein Melkfett, das im Grunde eine ganz andere Aufgabe hatte, als jugendliche Körper braun werden und glänzen zu lassen. Fazit: Hitze war vor 60 Jahren ganz normal. So wie wahnsinnig viel Schnee im Unterland. Niemand hat darüber gesprochen, davor gewarnt oder sich den Kopf zerbrochen. Man freute sich und genoss die Möglichkeiten, die einem das Klima bot.

 

Sommer in den 70er Jahren.
Für mich eine komplett andere Ausgangslage. Der erste Mann auf dem Mond war schon Geschichte, die Hormone zeigten langsam Wirkung und die Badeanstalt wurde zum Treffpunkt nicht nur mit dem besten Freund, sondern mit den Mädchen, denen man mit waghalsigen Sprüngen vom Dreimeterbrett imponieren wollte. Ich fing an, mich dafür zu interessieren, was das gelbe Bikini von Brigitte gerade noch zu verbergen vermochte. Das führte hin und wieder dazu, dass ich dann eine ganze Weile nur noch auf dem Bauch liegen konnte. Eine äusserst unangenehme Position. Hitze bekam zu der Zeit eine komplett andere Bedeutung und die einzige Sorge, die man wirklich hatte, war das Schwitzen. In der Badeanstalt konnte man damit auf natürliche Weise umgehen. Aber ausserhalb brauchte man Deos. Rexona versprach mir, mich nicht im Stich zu lassen. Auch nicht auf dem roten Tartanbelag hinter der Turnhalle, wo ich Fussball und Handball spielte und auf der grossen Matte den Kasper machte, um… naja, da gab es ja noch andere Kameradinnen, die es zu beeindrucken galt. Bald folgten die ersten Küsse mit Blick auf die Stadt. Auf den Bänklis und den angrenzenden Magerwiesen des Heitern Platzes (dort wo das Open Air damals noch nicht stattfand) verlor manch Eine und manch Einer seine Unschuld. Ich nicht, ich fand mit 14 Jahren meine Heu- und Gräserallergie beim zweisamen Rumtollen im knietiefen Gras. Und ich bin heute noch mit ihr zusammen. Der Allergie. Bis auf die erste Ölkrise, die 1973 durch den Jom-Kippur-Krieg ausgelöst wurde, waren die Sommer in den 70ern nichts Aussergewöhnliches. Im Gegenteil, die autofreien Sonntage wurden für Rad- und Rollschuhausflüge auf den Autobahnen genutzt.

Sommer in den 80er und 90er Jahren.

Ganz anders verliefen meine Sommer in dieser Epoche. Geprägt durch die erste Ehe. Ich lernte meine Frau an einem Stadtfest im Hochsommer kennen, das ich selbst organisierte. Sie ist Italienerin und deshalb verbrachten wir auch ganz viele Sommer bei ihren Eltern in Norditalien. 45 Minuten weg von der Adria. Aus klimatischer Sicht eine beschauliche Zeit. Das Klima blieb zwar unverändert, als die Kinder im Abstand von 13 Monaten zur Welt kamen, doch die Beschaulichkeit verschwand urplötzlich. Unser Leben nahm eine Form zwischen Überwachungsstaat und 24/7-Service an. Unfassbar, wie viele Tonnen Sonnencrème mit Schutzfaktor 30 (50 kam später) wir auf die kleinen Kinderkörper schmierten. Weil wir damals zum ersten Mal vom Ozonloch erfuhren, das wegen unseren Kühlschränken, Deos und Haarsprays immer grösser wurde, kauften wir für die Beiden sogar zum Baden Overalls und potthässliche Mützen im «Lawrence of Arabia-Style», mit den obligaten «Schwimmflügeli» wippten unsere Kinder wie Bojen selbst in nur knietiefem Wasser. Trotzdem hatte ich ständig Schiss, dass den Kleinen etwas passiert. Tat es auch. Vor allem der Sohnemann verfügte über eine magnetische Anziehungskraft zum Wasser. Aus keinem See, keinem Tümpel, keinem Bach und auch aus keinem Brunnen musste ich ihn nicht rausziehen, ein paar Mal knapp vor dem Ertrinken. Erst nachdem die Zwei einigermassen sicher Schwimmen lernten (Krebs bis Tintenfisch – Krokodil und Eisbär wurden ausgelassen), wurden die Sommer wieder gemütlicher. In den 90ern sogar sehr angenehm. Nicht zuletzt deshalb, weil wir zwei Autos hatten. Ein praktisches und ein Cabriolet. Mit offenem Dach, zwei Kindern und einem Hund in die Toscana. Und alles noch ohne schlechtes Gewissen. Greta war ausserdem noch nicht geboren.

Sommer im neuen Jahrtausend.
Es war der Hitzesommer 2003, in dem ich meine jetzige Gemahlin kennenlernte. An einem Abend des Dörflifäschts in Zürich. Eine gemeinsame Freundin von uns wollte mir eine Tupperware vorbeibringen, die ich an einer gleichnamigen Party bestellte, an der ich gar nicht teilnehmen konnte, aber es gab damals schon SMS. Seit vielen Jahren war dies der erste Sommer, bei dem die Schweiz in den Nächten lieber draussen war als drinnen. Und so kam es, dass ich mich in Marie-Anne aus der Bretagne bis drei Uhr morgens verlieben konnte. Auf meiner Terrasse im Niederdorf. Gleichzeitig war dies auch der erste Sommer, in dem die Meteorologinnen- und logen versuchten, uns den Unterschied zwischen Wetter und Klima zu erklären. Noch glaubten nicht wenige daran, dass es sich bei diesem Phänomen nur um eine Petrus-Kapriole handelte. Gleichzeit gab es 1000 Hitzetote in der Schweiz und 10’000 in Frankreich. Trotzdem, einige waren nicht wirklich beunruhigt. Und ein paar darauffolgende miese Sommer reichten, um viele daran zweifeln zu lassen, dass die Welt um uns herum wärmer wird. Ein paar Überschwemmungen, ein paar Zentimeter mehr Schnee und Leichtgläubige meinen, das Klima wandelt sich zurück.

Auch ich glaube heute an den vom Menschen mitbeeinflussten Klimawandel. Aber ich glaube nicht daran, dass der Mensch den aufhalten kann. Zumindest nicht durch freiwilligen Verzicht. Es sind eher Zwangsmassnahmen wie Covid19, die das Fliegen und die Kreuzfahrten groundeten oder der Ukrainekrieg und die Sanktionen, welche die Energiereserven und damit deren Verbrauch automatisch minimieren.

 

Und so haben wir 2022 einen sehr heissen Sommer, ich weiss noch nicht, ob er heisser ist als 2003, aber er fühlt sich so an. Und er erlebt sich nicht so unbeschwert wie jener vor 19 oder jene vor 50 Jahren. Als hätte sich die Stimmung gedreht. Die einzige positive Nachricht 2022: Ich habe ein neues Deo entdeckt, die Marke gibt es seit mehr als 100 Jahren, aber sie ist neu im Spar in Ermatingen zu kaufen. Sie heisst Borotalco, macht wirklich trocken für 72 Stunden – schreiben sie. Und sie riecht nur ein ganz klein wenig nach dem Intim-Spray, der meine beiden älteren Schwestern in den 70er Jahren verwendeten.

 

Ich wünsche Euch kühle Nächte!

 

PS: In the Heat of the Night ist a) der Titel eines eindrücklichen Movies (mit Sidney Poitier und Rod Steiger) aus den 80er-Jahren und b) die interne Bezeichnung eines Coca-Cola Werbespots (ca. 1987), in dem Leute in den Südstaaten nachts vor Hitze nicht schlafen können, aufstehen und im Gewitterregen draussen auf der Strasse Party machen. Als Werbeleiter dieser Marke wollte ich den Commercial in der Schweiz nicht laufen lassen, es schien mir irgendwie unpassend, wie sich Menschen über Regen freuen. Heute würde ich anders entscheiden.

Hansdampf in allen Gassen und am See. In einer eher kleinen Stadt im Aargau aufgewachsen, lebe ich nun nach meiner Flucht via die grosse Stadt am Zürichsee in «Ermatingen. Dem langweiligsten Ferienort der Schweiz». Verzeiht, aber es gefällt mir hier, unter anderem deshalb, weil es nur 45 Minuten weg von Zürich liegt.

Man hatte mich in der Metropole für verrückt erklärt, dass ich meine Karriere als Werbefuzzi an den Nagel hänge, um mit meiner Frau ein Hotel am Bodensee zu eröffnen. Man hält mich aber auch in Ermatingen immer noch für einen Spinner, weil ich dem Dorf den Slogan siehe oben verpasste. Nun; hätten sie mich eben nicht in den Vorstand des Tourismusvereins wählen sollen.

Ein wenig stolz waren sie allerdings, dass meine Erfindung, das «Panorama Knife», hier geboren wurde – unter uns: auf dem Weg nach Zürich. Neun Jahre Hotel und parallel neun Jahre Messer waren dann für meine Frau und mich genug Grund, eine Auszeit zu nehmen.

Um dann ab Mitte 2020 in neue Projekte zu investieren. Heute kümmert sich unsere Familie um drei KMUs, nähere Infos dazu gibt es unter www.hostaulac.ch.

Ich werde also genug Stoff für meine Blogs finden. Auch dass man sich im Alter von 50 oder gar 60 Jahren durchaus komplett neu erfinden darf.

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