Alternatives Wohnen mit 50plus: Warum ich in einer Multikulti-Mehrgenerationen-WG lebe
Der erste war ein Biologiestudent aus Grossbritannien und hiess Tristan. Er kam gerade aus dem Kongo, wo er das Leben der Bonobo-Affen erforscht hatte. Nun wollte er in München seinen Masterabschluss machen. Im August 2016 zog er bei mir ein – ins ehemalige Zimmer meines Sohnes.
Kurz darauf erschien Hanla aus Südkorea. Sie hatte bereits einen Master in Ernährung und Gesundheit in der Tasche und nahm nun im nahegelegenen Klinikum an einem Postgraduiertenprogramm zur Ernährung bei Krebserkrankungen teil. Sie zog ins Mädchenzimmer – das frühere Zimmer meiner Tochter.
Das war der Beginn eines persönlichen Experiments: Meine Familienwohnung in eine Studierenden-WG umzuwandeln. Und ich mittendrin. Sie werden sich nun fragen, warum ich mir mit 50plus die Welt in meine Wohnung hole? Warum ich es nicht einfach geniesse, die Tür hinter mir zuzumachen und nach all den Jahren mit meinen Kindern mein individuelles Leben uneingeschränkt leben zu können?
Um es vorwegzunehmen: Es war eine der besten Entscheidungen, die ich treffen konnte. Und ich erzähle Ihnen gerne, warum ich bis heute in einer Mehrgenerationen-WG mit Studierenden aus der ganzen Welt lebe.
Drei Gründe für ein alternatives Wohnmodell mit 50plus
Zum einen hat es etwas mit Solidarität zu tun und dem Wunsch zu helfen. Gerade ausländische junge Studierende finden oft schwerlich eine bezahlbare Bleibe in München. Meine Wohnung bietet genug Platz, ist perfekt geschnitten und zudem recht schön. Und dann war ich schlicht neugierig auf mich selbst: Wie würde ich das Zusammenwohnen empfinden, 30 Jahre nach meinem WG-Leben in Studienzeiten?
Also kamen Tristan und Hanla. Die ersten von insgesamt sieben Mitbewohner*innen. Ich hatte übrigens immer schon eine Schwäche für Generationendialoge. Der Austausch mit jungen Menschen ist aus meiner Sicht mit zunehmendem Alter umso wichtiger. Und in meinem Falle kam auch noch die Neugierde auf Menschen aus anderen Kulturkreisen hinzu.
Der letzte Puzzlestein meiner Motivation war etwas ernster, weil finanzieller Natur. Zwar zahle ich eine relativ geringe Miete und verdiene mittlerweile gut. Aber als alleinerziehende und alleinfinanzierende Mutter blieb nicht sehr viel Spielraum für Vermögensbildung. Mit 18 waren beide Kinder ausgeflogen, aber noch weit davon entfernt, finanziell auf eigenen Füssen zu stehen. Das Leben mit erwachsenen Kindern, die in ihren eigenen vier Wände wohnen, ist deutlich teurer, als wenn sie noch zuhause sind. Dennoch war es richtig und wichtig, dass sie gehen. Folglich brauchte ich Geld, um das Leben meiner Kinder zu unterstützen und mein eigenes zu finanzieren. Die Untervermietung bot sich als gut kalkulierbare Geldquelle an.
Einkaufen, Putzen, Wäsche waschen – wer macht was und wie?
Rein ins Abenteuer – natürlich wusste ich auch immer, dass ich im Notfall die Reissleine ziehen kann und einfach nicht mehr untervermiete. Aber das war nie notwendig. Auch wenn nicht immer alles glatt lief und wir als Gemeinschaft viel ausprobieren mussten.
Das fing mit der Grundversorgung an. Tristan, Hanla und ich einigten uns auf eine gemeinsame Haushaltskasse für Toilettenpapier, Waschmittel, Essig & Öl, Salz, Grundnahrungsmittel. Gut gedacht. Wer ging natürlich immer einkaufen und schleppte die Tüten? Ich. Das frustrierte mich. Nicht das Einkaufen – sondern die Untätigkeit und Sorglosigkeit der Mitbewohnenden. Folglich entschied ich, dass ich ab der nächsten Untervermietung die Grundversorgung in den Mietpreis inkludiere.
Oder die Geschichte mit der Waschmaschine. Ich kann nur eines empfehlen: Achten Sie darauf, dass Ihre Untermieter*innen eine Haftpflichtversicherung haben. Gleich zu Beginn meines Experiments hatte ich Tristan und Hanla in die Bedienung der Waschmaschine eingewiesen. Vorsichtshalber bot ich an, ihnen beim ersten Mal zu helfen. Zustimmendes Kopfnicken, aber ich merkte schon, dass beide nur mit einem halben Ohr zuhörten.
Ein paar Tage später füllte ich die Waschmaschine mit meiner feinen weissen Wäsche und wählte «Feinwaschgang». Als ich die Trommeltür zwei Stunden später öffnete, blieb mir fast das Herz stehen: Strickjacke, Dessous, Pyjama, Blusen – alles war rosarot eingefärbt! Was war passiert? Im Wäschekeller hing die Erklärung: Hanla hatte rosa und rote Wäsche gewaschen und – wie ich an ihrem verfilzten Strickpulli erkennen konnte – offensichtlich viel zu heiss. Gesagt hatte sie nichts. Die Hausfrauen und -männer unter Ihnen wissen: Nach einer roten Wäsche sollte man nicht direkt anschliessend weisse Wäsche waschen! Weil die Gefahr besteht…
Was soll ich sagen, da half auch kein Entfärber mehr. Hanla war peinlich berührt, konnte mir aber meinen Verlust nicht ersetzen. Und so führte ich eine neue Regel ein: kein Untermietvertrag ohne Haftpflichtversicherung.
Problemzone drei im Zusammenleben mehrerer Generationen und Kulturen war und ist die Sauberkeit. Eigentlich ist das in einer WG immer ein Thema und in einer Multikulti-WG erst recht. Tristan, Hanla und ich fingen erst mal mit rotierenden Putzplänen an. Das klappte nicht wirklich. Dann experimentierten wir drei mit fest zugeschriebenen Aufgaben. War auch nicht so erfolgreich. Statt zu schimpfen und mich zu ärgern, entschied ich mich für eine andere Lösung. Einmal pro Woche kommt die Putzfrau, deren Kosten wir anteilig tragen.
Klappte prima und ist bis heute die richtige Lösung!
Leben in einer Multikulti-Studierenden-WG – einfach gut!
An mehr erzählenswerte Probleme kann ich mich tatsächlich nicht erinnern. Im Gegenteil! Die vielen schönen Momente überwiegen bei weitem: Das Willkommens-WG-Essen, bei dem jede Person einen Gang beisteuert. Die spontanen Begegnungen in der Küche, bei denen sich die interessantesten Gespräche entwickeln. Die gemeinsame Freude über eine gelungene Studienarbeit.
Mein Resümee: Was 2016 als Experiment begann, hat sich bewährt und bereichert mein Leben. Würde ich eine Weltkarte in meine Wohnung hängen und alle Nationen, die in meiner WG gelebt haben, mit einem Fähnchen bestücken, dann würden die bunten, kleinen Wimpel in Guernsey, Südkorea, Italien, Griechenland, Indonesien und Indien stecken.
«Mama, wie lange willst Du so noch weiterleben?» fragte mich kürzlich mein Sohn. «Solange es mir gefällt, mein Kind.»
Anregend multikulti! Gibt es da noch eine Steigerung? Ich glaube kaum… wieder einmal schön erzählt u mitgenommen auf einen sehr persönlichen Lebensabschnitt. Well done! KB
Chapeau !
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