Free your darlings

Free your darlings

Wer kennt ihn nicht, den Spruch «Kill your darlings». Er hört sich poetisch an, dahinter steckt aber eine knallharte Businessstrategie.

Ich muss an dieser Stelle kurz ausholen: Schon vor dem Lockdown wusste ich, dass die öffentlichen Touren bei meinem Edutainment Unternehmen #letsmuseeum für uns finanziell nicht rentabel waren. Aber mein Herz und das unseres gesamten Teams hing daran. Die Touren waren unser erstes Produkt, mit viel Leidenschaft entwickelt und umgesetzt. Sie repräsentierten unsere DNA. Also hielten wir daran fest und vermarkteten die Touren für private Anlässe, Teambuildingaktivitäten und Vereinsausflüge. Das wiederum funktionierte letzten Winter das erste Mal auch wirtschaftlich gut.

Mitte Februar 20 aber brachen alle Verkäufe komplett ein und auch nach dem Lockdown konnten wir wegen der 5-Personen-Regel nicht wieder in den Verkauf. Wir waren gerade erst aus der Start-up Phase raus, hatten noch kein finanzielles Polster und somit auch nicht lange Zeit zu überlegen (oder besser überleben) – es musste also rasch gehandelt werden. Sollte ich hoffen, dass alles bald wieder beim Alten war, das Risiko mit gleichbleibendem Team halten und erneut Geld investieren? Heute weiss ich, dass dies nicht funktioniert hätte. Wo also sollte ich ansetzen? Ich musste die Kosten reduzieren und das konnte ich nur mittels Einführung einer neuen Organisationsstruktur. Dies wiederum bedeutete, dass wir nicht mehr alle Produkte halten konnten. Das war der Moment, an dem ich intensiv über die «Kill your darlings» Business-Strategie nachdachte und ich bin sehr froh, dass ich nicht zum Produktekiller wurde, denn ich fand beim Nachdenken eine Alternative. Wieso nicht das Produkt an die Guides oder an die Institutionen, mit welchen sie bis dato durchgeführt wurden, abgeben – quasi verschenken anstelle weiter darin zu investieren? Nach Absprache mit dem Team setzten wir die Strategie um, wir würgten das Produkt, an dem wir alle hingen, also nicht ab, sondern befreiten es von unseren internen Bedürfnissen. Das ging nicht von heute auf morgen und bedingte transparente Gespräche und forderte einige Tränen und schlaflose Nächte.

Loslassen als Empowerment nutzen
Das Produkt besteht also nachhaltig weiter und darf auch künftig Menschen inspirieren. Die Firma ist gesundgeschrumpft und kann sich nun, mit demselben Purpose, auf seine anderen Produkte fokussieren. Die «Kill your darlings» Strategie muss also nicht zwingend darauf hinauslaufen, etwas komplett zu beenden. Es kann auch ein Produkt oder das Team dahinter emanzipieren. Verloren hat man dabei nichts, im Gegenteil. Ich musste allerdings 47 werden und in einer so unsicheren Zeit wie die jetzige drinstecken, um das zu verstehen. Diese Einsicht hätte mir in den letzten 20 Jahren so manchen Kummer erspart.

http://www.letsmuseeum.com

Kunst by:
Charles Gleyre (Le Déluge, 1856).
Aufgenommen mit Handy im Musée cantonal des Beaux-Arts Lausanne, Plateforme 10

 

«KILL YOUR DARLINGS» ODER DIE UNTERNEHMERISCHE KUNST, DEN STECKER ZU ZIEHEN.

Die «Kill your darlings» Strategie basiert auf dem gängigen Ratschlag von Schriftstellern wie Oscar Wilde, William Faulkner und G.K. Chesterton und lautet: «Töten Sie Ihre Lieblinge». Mit anderen Worten: Seien Sie intellektuell ehrlich in Bezug auf das, was Ihre Geschichte tatsächlich voranbringt, und schneiden Sie den Rest heraus, ganz gleich, wie sehr Sie daran hängen. Was bei Autoren schon lange praktiziert und propagiert wird, ist heute eine gängige und regelmässige Unternehmens-Strategiefrage. Auch Unternehmen müssen sich von Herzensprojekten und Lieblingsprodukten verabschieden, um fokussiert und zukunftsorientiert zu bleiben.

In einem 200 Seelen Dorf im Berner Oberland aufgewachsen, zog es mich immer schon in die weite Welt hinaus. Gearbeitet habe ich dann 21 Monate in New Delhi, einige Monate in Wien, Stuttgart und Genf, war on and off immer wieder in der Schweizer Hauptstadt zuhause und weilte auch länger in Texas und Paris. Dass ich nun aber doch schon fast die Hälfte meines Lebens in Zürich verbringe, hätte ich als junges Mädchen nie für möglich gehalten, denn ich fand Zürcher insgesamt zu arrogant und gleichzeitig zu provinziell. In Zürich aber habe ich mich selbständig gemacht, gründete die unterschiedlichsten Firmen, konnte meine Leidenschaft zum Beruf machen, wurde Mutter, war einmal im Scheidungsgericht und mehrmals im Fernsehen. Ich habe Fails initiiert und Erfolgreiches, gab als Nicht-Akademikerin Unterricht an Fachhochschulen und bin mittlerweile Profi im Umziehen, denn ich tat dies ganze 12mal (privat und geschäftlich) in dieser Stadt. Ich bin eine Optimistin und mag es nicht, wenn Menschen nörgeln und nichts dagegen tun. Mit Literatur und der ironischen Namensgebung «swissandfamous» hat mein unabhängiges Unternehmertum angefangen. Danach folgte die Crowd-Realität mit wemakeit und emotional Storytelling mit letsmuseeum. Dazwischen gab es noch so einiges das ich angepackt, initiert und umgesetzt habe. Mal erfolgreich, mal weniger. Ich bin gespannt, was noch so alles auf mich wartet. Ich bin ja erst 48, da steht einem die Welt noch offen, oder? Das sagen jedenfalls alle Ü50er, und die sollten es ja wissen.

Leave a comment :