Generations-übergreifendes Arbeiten.

Generationsübergreifendes Arbeiten

Lassen sich 35 Jahre wirklich überbrücken?

In meinem Unternehmen, einem globalen Konzern, arbeiten vier Generationen: von den Baby Boomern (Jahrgänge 1946 – 1965) bis zur Generation Z (ab 1995).

Unterschiedliche Werte, Lebenseinstellungen und Arbeitsstile können schnell zu gegenseitigem Unverständnis und Konflikten führen. Wie blickt ein junger Kollege auf unser Unternehmen – und auf die Zusammenarbeit mit der älteren Generation? Das wollte ich herausfinden und begab mich in ein Experiment: Ich traf mich mit Niklas, einem jungen Kollegen, zu einem Generationendialog. Es war für uns ein Blind Date, eine Kollegin hatte uns vermittelt.

Die Sache mit der «Augenhöhe»: Generationendialog ist nicht einfach

Unser Dialog fängt gleich gut an – mit Niklas Bemerkung: «Du bist 1998 ins Unternehmen eingetreten? Da war ich ein Jahr alt. Voll krass!» Ob der mich überhaupt ernst nimmt? Überraschenderweise stellt sich für Niklas die gleiche Frage.

«Es wird ja immer viel davon geredet, auf Augenhöhe zusammen zu arbeiten, aber de facto ist es so, dass ich als Jüngerer darauf angewiesen bin, dass mir der ältere Kollege diesen Respekt entgegenbringt und mir auf Augenhöhe begegnet. Bisher habe ich gute Erfahrungen gemacht und bin als Jüngerer immer gut und respektvoll behandelt worden – man fragt mich beispielsweise auch nach meinen Ansichten. Ich merke aber, dass ich davor zurückschrecke, älteren Kollegen kritisch meine Meinung zu sagen. Da halte ich mich doch eher zurück, weil ich die Befürchtung habe, sie auf dem falschen Fuss zu erwischen.»

Niklas Äusserung überrascht mich. Ich habe ihn in unserem Vorgespräch als kontaktstark und selbstbewusst wahrgenommen. Dass wir uns auf Augenhöhe miteinander begegnen, ist für mich eine Selbstverständlichkeit. Jetzt lerne ich, dass ich den jungen Kolleg:innen explizit zeigen sollte, dass ich sie ernst nehme. Echter Generationendialog benötigt Überbrückung.

Was Niklas noch nicht weiss: Mit zunehmendem Alter beider Partner werden sich die Verhältnisse umkehren, manchmal sogar ganz drastisch, zum Beispiel wenn einem der ehemalige Werkstudent plötzlich als Chef gegenübersitzt.

 

Wenn Arbeitsstile aufeinander prallen: «Lass uns das doch einfach mal raushauen»

Wie erlebt Niklas die Arbeitsstile seiner älteren Kolleg:innen, und wie passen diese zu seinen eigenen?

«Eine Eigenart von Älteren ist mir aufgefallen, und die steigt parallel zum Alter: Die können sich stundenlang an einem Satz aufhalten. Und alles muss immer mit allem abgestimmt werden. Ich hatte vor kurzem eine Einladung zu einem Meeting erhalten, da haben wir tatsächlich mit fünf Personen eine halbe Stunde lang über eine Power Point Seite gesprochen. Wo ich mir denke: Lass sie uns doch raushauen, wenn es dann nicht klappt, dann lernen wir draus.»

Ich kichere. Das Phänomen kenne ich nur zu gut. Ich bin tatsächlich in einer Arbeitskultur gross geworden, in der Perfektionismus keine Schwäche, sondern eine Stärke darstellte. Und in der die Abstimmung mit allem das Überleben im Konzern sicherte. «Einfach mal machen!» war vor 20 Jahren einfach unvorstellbar. Mittlerweile hat sich dieser Pragmatismus in vielen Unternehmen durchgesetzt. Ich selbst hörte ihn vor fünf Jahren zum ersten Mal, und er wirkte auf mich wie eine befreiende Explosion. Das «Einfach mal machen!» der jungen Generation setzte auch bei mir Älteren eine ungeheure Energie frei.

Der Umgang mit der Technik und den digitalen Medien

Niklas und die Generation Z ist in die mobile Internetwelt hineingeboren – ich vertrete eine Generation, die sich mit den technischen Neuerungen eher schwertut. Dieser Unterschied war mir so klar, dass ich das Thema eigentlich nicht gross zur Sprache bringen wollte. Dennoch kommt die Frage: «Niklas, wie erlebst Du die IT-Kompetenz der älteren Generation in unserem Unternehmen?»

Niklas erzählt mir, dass er häufig als IT-Hotline benutzt wird. Was ihm grundsätzlich nichts ausmacht, weil er gerne hilft. Aber er wird gefragt bei Dingen, die man viel schneller googeln könnte. Oder die man durch ein bisschen Ausprobieren selber herausfinden könnte. Und er erzählt mir von Kollegen, die beim neusten Tool abwehrend fragen: «Muss ich das wirklich noch lernen?»
Ich versuche, Verständnis bei meinem jungen Kollegen zu wecken. Ich habe noch Stenografie gelernt und meine ersten Briefe mit Durchschlagpapier (cc = carbon copy!) auf einer mechanischen Schreibmaschine getippt. Ich erzähle ihm davon, wie die rasanten und radikalen technologischen Entwicklungen und die Umbrüche in unserem Unternehmen ein Gefühl der Verunsicherung auslösen können. Wissen veraltet so rasant! Da kann man schnell den Anschluss verlieren. Doch jammern hilft nichts: Wenn ich in meinem Job weiterhin erfolgreich sein will, dann muss ich die digitalen Arbeitsinstrumente beherrschen. Zumindest die Grundlagen.

Berufliche Perspektiven und Verbundenheit mit dem Unternehmen

Wie schaut ein junger Mensch auf unser Unternehmen? Ich erwarte kritisch-wohlwollende Distanz bei Niklas, denn man sagt der jungen Generation nach, dass sie sich emotional nicht mehr an eine Firma binden würde. Niklas überrascht mich jedoch. Denn er reagiert nahezu euphorisch auf meine Frage. Er erzählt mir begeistert von den coolen Leuten und den tollen Jobs, die es bei uns gibt. Und die vielen Entwicklungsmöglichkeiten! Ich höre ihm fasziniert zu. Und weise ihn zart darauf hin, dass auch Menschen sich gerne auch noch jenseits der 50 beruflich entwickeln möchten – schliesslich haben sie bis zur Rente noch einige Jahre vor sich. Ich erzähle ihm von Kollegen, die sich aufs Abstellgleis geschoben fühlen oder gar Angst vor einem Ausstellungsangebot haben. Spüre, wie ihn das betroffen macht.
Ganz zum Schluss entspinnt sich ein Dialog, der mir unvergesslich bleiben wird:

Niklas: «Siemens, ja, das kann man so sagen, ist im beruflichen Kontext meine erste grosse Liebe.»

Gerda-Marie: «Liebe, das ist ein sehr starkes Wort. Zu Beginn war das mit Siemens und mir eher eine Vernunftbeziehung. Die Liebe hat sich erst über die Jahre entwickelt, und ich denke, wir führen heute eine sehr reife Beziehung. Aber ob Siemens meine letzte Liebe sein wird, da bin ich mir nicht so sicher.»

Niklas: «Kannst Du auch nicht. Die erste Liebe ist immer die erste Liebe, und Du weisst, dass es die erste Liebe ist. Aber ob die letzte Liebe wirklich Deine letzte Liebe ist, kannst Du erst im Nachgang sagen.»

Ach, Niklas. Ob Dir die Schwere dieses Satzes wirklich bewusst ist? Ich sehe schon: Der Stoff zum Reden wird uns so schnell nicht ausgehen.

Für heute unser Resümee: «Generationendialog» – das hört sich so gewaltig an. Und ist doch so einfach. Sich Zeit nehmen und sich offen begegnen. Den Dialog bewusst suchen. Von seinen eigenen Erfahrungen erzählen. Zuhören. Dann klappt das schon mit der generationenübergreifenden Zusammenarbeit. Das finden jedenfalls Niklas und ich.

Hier gehts zum Podcast über den Generationendialog:

Podcast: Leben für Fortgeschrittene

https://fortgeschrittene.podigee.io/53-generationen-im-gespraech

Mein erster Lebens- und Bildungsweg führte mich von meinem kleinen Eifeldorf bis zur Kreisstadt. Mit 19 war ich ausgebildete Bankkauffrau – ich war am Ziel meiner beruflichen Träume angekommen! Doch da war so eine Sehnsucht in mir, eine Sehnsucht nach Lernen und Denken und Erfüllung.
Auf dem Köln-Kolleg holte ich mein Abitur nach. Neben der Schule zog ich durch Museen, gab mein ganzes Geld für Theater-, Ballett-, Konzertbesuche aus und lernte jede Menge aufregender Leute kennen. Weiter ging's nach München zum BWL-Studium. Erster Job in einer Unternehmensberatung.
9 Jahre später, verheiratet, Mutter einer 12 Monate alten Tochter, nach der Elternzeit den Job verloren, und wie von Zauberhand fand ich mich in einem Konzern wieder. Zweites Kind, Scheidung, alleinerziehend. Ein Wimpernschlag später: die Kinder aus dem Haus, den Job im Griff. Zeit, einen Gang zurückzuschalten. Oder ein Philosophiestudium zu beginnen.
Und so wandle ich derzeit auf dem dritten Bildungs- und Lebensweg. Manchmal hadernd ob der Kürze der Zeitspanne, die noch vor mir liegt. Manchmal zornig, wenn ich mal wieder die unsichtbare Altersdiskriminierung spüre. Und immer wieder neugierig, was mir diese spannende Phase von Mitte 50 bis Mitte 60 noch alles bringen wird. Darüber möchte ich schreiben. Meine Geschichten sollen eine Brücke bauen vom Ich zum Du, sie sollen Impulse geben, neue Perspektiven aufzeigen und zum Debattieren anregen.

Nathalie von Bomhard sagt:

Eine spannende Frage, die ich meinem Umfeld immer gerne stelle: Was war die einschneidenste Erfindung/Veränderung für Dich persönlich, wenn Du bis zu Deiner Kindheit zurückdenkst. An welches Gefühl erinnerst Du Dich?
Als ich meiner Uroma zum 100. Geburtstag diese Frage stellte, antwortete sie: Die Waschmaschine. Plötzlich hatte ich Zeit.
Für mich war es z. B. 2004 das mobile Navigerät (Garmin&TOMTOM). Es bedeutete Entspannung. Plötzlich konnte ich die Natur beim Reisen genießen und einfach aus dem Fenster schauen, statt immer nur die Karte zu wälzen…

Nikolai Schulz sagt:

Ich suche immer wieder Senioren über 60 im Großraum München, die mir vor der Kamera bis zu 10 kurze, zeitspezifische Episoden (um die 3-5 Minuten jeweils) aus ihrem Leben erzählen. Das Projekt ist gemeinnützig, heißt MEMORO – Die Bank der Erinnerungen e.V. . Die Website (www.memoro.org/de) zieht gerade nach 13 Jahren auf diesen YouTube Kanal um, deswegen sind die Clickzahlen noch gering. Die Erfinder aus Italien ziehen sich zurück, die Website macht Schwierigkeiten, also dann eben auf YouTube und zusätzlich responsive.
https://www.youtube.com/channel/UChacdZWeiN4KGGUP-2zkQhA

Angelika Koch sagt:

Sehr interessanter Artikel! Das Thema macht Lust auf Fortsetzungsdialoge – ich hoffe, da kommt noch mehr, danke!

Christine sagt:

Interessantes „tête-à-tête“ !

liebe Gerda-Marie
tolles Thema !
Das wäre in meinem Berufsfeld: Theater, insbesondere an den Stadt/Staatstheatern, auch mal spannend zu sehen und hören, wie es da mit dem Generationendialog aussieht…

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