Weshalb nur wurde ich Unternehmerin?
Ich bin seit 21 Jahren selbständig bzw. Unternehmerin. Und ich habe dies nie auch nur für eine Sekunde in Frage gestellt – oder bereut, bis zum 18. März 2020, als COVID-19 meine Existenz gefährdete.
Ich habe schon vieles angefangen und auch beendet, war erfolgreich und dann auch wieder nicht. Verdient habe ich, was ich gerade brauchte, gearbeitet habe ich dafür einiges mehr, als mir oft lieb war. Wie ich aber mit einer Arbeitslosigkeit umgehen würde, damit musste ich mich bisher nur bei befreundeten Personen auseinandersetzen, aber nie für mich selbst in Betracht ziehen oder auch nur darüber nachdenken. Und über Nacht, war es da, das Existenzrisiko.
Denn plötzlich steht man in Gedanken unmittelbar vor den Türen des Sozialamtes. Unternehmer*innen, mit Beteiligung an der eigenen Firma, das wissen viele nicht, können nämlich nicht stempeln gehen. Auch wenn sie schon das ganze Leben ALV einbezahlt haben. Und oft tut man dies ja nicht nur für sich selbst, sondern für eine ganze Armada von Mitarbeiter*innen. Heute noch verantwortlich für ein Team, morgen schon ein Sozialbezüger, der mit knapp 3’000 Franken pro Monat in Zürich überleben muss. Wie sehr der Weg auf’s Sozialamt für ein psychologisches Schwergewicht ist, habe ich bei guten Freunden erlebt – oft kamen sie nur gebrochen wieder hevor. Das Gefühl des Loosers auf dem Rücken. Die Schweiz ist ein Unternehmerland und die Start-up Szene wird hochgejubelt und gefördert. Was aber passiert mit all denen, die es nicht schaffen? Weshalb gibt es hierfür nicht auch ein faires Auffangsystem?
Wieder zurück zu mir und COVID-19. Ich war niedergeschlagen. Enttäuscht von der unfairen Situation. Enttäuscht von mir, dass ich es nicht geschafft hatte, in diesen Jahren für mich und meinen Sohn genügend vorzusorgen, um nicht gleich in Panik ausbrechen zu müssen. Froh und gleichzeitig enttäuscht war ich dann auch, als es hiess, dass Unternehmer*innen maximal 196 Franken pro Tag erhalten sollten und ihr Business in einen Dornröschenschlaf versetzt wird aufgrund des Lockdowns. Rechnet man den Tagesansatz noch runter, kommt man auf ganze 24.50 Franken pro Stunde! Das also ist es der Schweiz wert, wenn Menschen mit Erfahrungen Risiken eingehen und Arbeitsplätze und einen Mehrwert an die Gesellschaft, die Wirtschaft oder die Kultur schaffen.
Die Krise gibt mir viel Stoff und Zeit nachzudenken und mich zu fragen, wo ich heute, mit 47 stehe. Ob ich das Risiko, denselben Weg weiterzugehen, in Kauf nehmen möchte? Ob ich nach der brutalen Einsicht, dass auch mir der Gang zum Sozialamt passieren könnte, erst recht nicht das Unternehmertum an den Nagel hängen sollte, weil ich mich nicht von einem System in die Knie zwingen lassen will? Oder ob ich zufrieden zurückblicken und mich gleichzeitig lösen kann von der eigenen Erwartung, ewig als Unternehmerin tätig zu sein, um so zwar vieles bewirken zu können, aber in einer finanziell unsicheren Situation leben zu müssen? Zumindest eines weiss ich genau: Ich will auch in Zukunft einen innovativen Weg gehen – Dinge verändern und Neues ermöglichen. Daran halte ich fest, komme was da wolle.
Bis dahin höre ich «Stressed out» von «twenty one pilots»..
… und nehme mir die Strophe «Wake up, you need to make money» für die Zukunft mehr zu Herzen. Denn einem erneuten Kollaps will ich künftig ruhig gegenüberstehen können. Das bin ich es mir und meinem Sohn wert.
Toller Post
Danke Alessandra!
Liebe Rea, genau diese Frage stelle ich mir stetig auf’s Neue und eine klare Antwort darauf habe ich bis heute nicht.
Von Unternehmerin zu Unternehmerin;-)
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