After Work auf dem Olymp

After Work auf dem Olymp

Als alleinerziehende Mutter zwei Kinder aufziehen, Vollzeit arbeiten und anschliessend mit Mitte 50 der eigenen Karriere eine ganz neue Wendung geben – das ist mir gelungen und darauf bin ich stolz. Aber ich weiss, das schafft man nicht allein. Ich hatte grosses Glück. Ich hatte, ob Ihr es glauben wollt oder nicht, die Unterstützung himmlischer Heerscharen.
Davon möchte ich heute erzählen und ich möchte, dass Ihr sie kennenlernt. Ich lade Euch herzlich ein, Euch mit mir auf den Rücken des weissen fliegenden Pferdes Pegasus zu schwingen und zum griechischen Berg Olymp zu fliegen.

Auf dessen Gipfel hat sich gerade unter dem endlos weiten griechischen Himmelszelt die olympische Götterfamilie zu einem entspannten After Work Drink bei leiser Lounge Musik versammelt. Hört Ihr sie reden und lachen? Kommt, lasst uns ein bisschen näher zu den Göttern gehen, denn ich möchte Euch meine Wegbegleiter*innen vorstellen:
Seht Ihr dort hinten rechts die beiden L-förmig angeordneten Ottomanen mit den beiden feinen ornamentalen Tischchen davor?
Links auf der gelb-gepolsterten Ottomane seht Ihr eine schlanke, hochgewachsene Frau. Das ist meine beste Freundin Pallas Athene, die Göttin der Weisheit, der Strategie, des Kampfes und der Kunst. Helm, Schild und Speer hat sie abgelegt. Neben ihr, die Frau mit einem Glas Wein in der Hand, das ist Artemis, die Göttin des Waldes und der Jagd, die Hüterin der Frauen und Kinder. Auf der blauen Chaiselongue, seht Ihr die beiden Männer? Dieser phantastisch aussehende junge Mann mit den riesigen Flügeln, das ist Eros, der Gott der Liebe. Daneben sitzt Chronos, der bärtige Alte mit dem Trinkpokal in der rechten und dem Stundenglas in der linken Hand. Er ist der Gott der linearen Zeit, der Gott der Lebenszeit. Und zwischen den beiden Ottomanen sitzt auf einem Hocker ein ganz komischer Mann. Seht Ihr ihn? Vorne die hübschesten Locken – aber der Hinterkopf kahlgeschoren. Und schaut auf seine Fersen. Seht ihr die kleinen süssen Flügel? Das ist Kairos. MEIN Kairos. Der Gott der günstigen Gelegenheit und des rechten Augenblicks. Aber still jetzt, lauschen wir doch mal in ihr Gespräch hinein.

Gespräch unter Göttern
«Wir müssen uns mit Marie etwas einfallen lassen.»
Athene stellt ihren Trinkbecher energisch auf einen der kleinen Tischchen und schaut auffordernd in die göttliche Runde.
«Wieso?», fragt Artemis überrascht «der geht es doch gut!?»
Beide blicken zu Chronos, der in diesem Moment bedächtig sein Stundenglas hebt:
«Aber sie ist kürzlich 60 Jahre alt geworden. Ihre Zeit, meine Damen, läuft langsam ab.»
Kurzes Schweigen. Kairos, der ein wenig zusammengekauert auf dem Schemel zwischen den Ottomanen sitzt, richtet sich auf und meint:
«Also, verdient hätte sie es ja – dass sie nochmal etwas richtig Tolles erlebt.»
Athene hebt beschwichtigend die Hand:
«Komm Kairos, jetzt sei mal nicht unverschämt. Was hat Marie nicht alles in den letzten fünf Jahren von uns erhalten: Das Philosophiestudium mitsamt einem Auslandssemester in Krakau. Erfolg im Beruf. Einladungen zu Symposien
«Und nicht zu vergessen, die Tochter studiert fleissig.» Artemis hält einen Moment lang inne, dreht ihr in der Abendsonne funkelndes Glas in der Hand, nimmt genüsslich einen Schluck des köstlichen Getränks zu sich. Dann weist sie darauf hin, dass sich sogar der Sohn von Marie recht ordentlich entwickelt habe.
«Das ehemalige Förderkind hat gerade sein Fachabitur bestanden!»
«Ja, Ihr habt schon recht, Ihr Lieben, wir haben sie reich beschenkt», ruft Kairos selbstzufrieden seinen göttlichen Freunden zu, «aber das haben wir nicht einfach aus unserer Götterlaune heraus getan, sondern weil Marie immer für ihr Leben Selbstverantwortung übernommen hat. Nie hat sie uns angeklagt und angejammert, nie mit uns gehadert, immer bereit, ihren eigenen Teil zum Gelingen ihres Lebens beizutragen. Erinnert Ihr Euch noch, 2006, sie hatte sich gerade eingeschwungen in ihr neues Leben: Job einigermassen im Griff, ihren Sohn in einer Montessori-Schule untergebracht, und Eros hatte ihr noch Christian gesandt. Ich gebe Euch recht: Sie machte ihre Sache gut, wirklich gut. Und sie wusste unsere Unterstützung zu schätzen.»
«Ich erinnere mich noch genau an diese Zeit», greift Artemis den Faden auf, «oft und lange hatte ich mit ihr darüber gesprochen, was es bedeutet, eine gute Mutter zu sein. Ich behaupte ja heute noch: Nur wer gut und gütig zu sich selber ist, kann auch anderen Menschen etwas geben.»
«Aber dann kam Zeus auf die Idee, ihr ein weiteres Päckchen aufzuerlegen»,
wirft Eros ein.
«Ja, das war echt fies»,
ereifert sich Artemis. «Ihrer süssen Tochter diesen schrecklichen Morbus Perthes aufzuhalsen. Zwei Jahre lang humpelte die Kleine in der Thomas-Schiene durchs Leben, und dann noch mehrfache OPs.»
«Sag mal, Athene»,
mischt sich jetzt auch Chronos ein, «Du warst doch damals regelmässig mit Marie joggen. Und ich erinnere mich, dass Du bei so einem Treffen ein entscheidendes Gespräch mit ihr hattest. Wie war das gleich nochmal?»

 

Von allen guten Göttern verlassen
Stopp! An dieser Stelle muss ich einhaken und das göttliche Gespräch kurz unterbrechen. Ich weiß genau, meine lieben Freund*innen, die wir hier das Gespräch der Götter belauschen – ich weiss genau, welches Gespräch meine Freundin Pallas Athene den Göttern erzählen wird. Ihr müsst wissen, dass ich mich damals von allen guten Göttern verlassen gefühlt habe. Im wahrsten Sinne des Wortes. Da kam mir Pallas Athene bei unserem gemeinsamen Sport gerade recht. Ich war so enttäuscht und konnte mich vor Wut nicht mehr zurückhalten. Ich erzählte ihr beim Joggen von der Diagnose meiner Tochter und von der Schiene und all den Komplikationen. Und ich fragte ohne Umschweife:
«Athene, ich hab mich doch bisher wirklich all Euren Herausforderungen gestellt und versuche Familie und Beruf in Würde auf die Reihe zu bekommen. Aber alleinerziehend mit ZWEI sozusagen behinderten Kindern? Warum auch das noch?»

Und stellt Euch vor, die weise Athene wusste keine rechte Antwort mehr und meinte nur lapidar: «Marie, starke Frauen bekommen starke Aufgaben.»

Aber psssst… horcht, die Götter sprechen gerade genau über diese Situation. Bin gespannt, was Athene jetzt weitererzählen wird…

Ein Schicksal – zwei Bedingungen
«Und? Was hat Marie auf diesen weisen Satz hin gesagt?» will Kairos wissen. Dabei beugt er sich leicht nach vorne und blickt Athene fragend in die Augen.
«Marie redete einen Kilometer lang kein Wort mehr mit mir! Nach einer gefühlten Ewigkeit machte sie den Mund auf und sagte, dass andere Menschen ja noch viel schlimmere Schicksale zu meistern hätten und dass sie diese Aufgabe annehmen werde. Allerdings nur unter zwei Bedingungen.»
«Die da wären?» fragt Chronos, während sein Blick gedankenschwer auf dem grossen Stundenglas in seiner Hand ruht.
«Sie antwortete ‚Ich gebe mein Bestes. Aber ich brauche ab und an Eure Unterstützung. Wenn ich Euch um Hilfe anrufe, dann möchte ich, dass Ihr mir helft. Und zwar unverzüglich‘. Das war ihre erste Bedingung.»
«Ganz schön fordernd», meint Artemis, «und was war die zweite Bedingung, Athene?»
«Die zweite Bedingung war, dass wir ohne Wenn und Aber zu akzeptieren hätten, wenn sie zu uns sagt ‚Ich kann nicht mehr‘.»
Die Götter schweigen einen Moment. Es ist still auf dem Olymp. Nur der Wind, der ohne Unterlass den Gipfel säuselnd umspielt, ist zu hören. Schliesslich durchbricht Kairos das Schweigen.
«Hast Du die Bedingungen angenommen?» Wieder schaut er lauernd in die Augen der schönen Athene.
«Ich fand, das war ein fairer Deal. Und wir alle haben dann ja auch gut zusammengearbeitet. Im Job hat Marie mit meiner Hilfe ein paar smarte Überlebensstrategien entwickelt, mit denen sie nicht nur die in sie gesetzten Erwartungen erfüllen, sondern diese hin und wieder auch übertreffen konnte.»
«Darauf einen Toast!» ruft Kairos aus, erhebt das Glas und lachend stossen die fünf Götter und Göttinnen miteinander an.
«Auf uns und natürlich auf Marie!»
Chronos nimmt den Faden wieder auf: «Ich gebe ja zu, ich hatte sie von morgens bis abends durchgetaktet. Aber ganz ehrlich: Sie mochte das. Und sie wurde mit der Zeit immer besser darin. Aber wir haben ihr ja auch regelmäßig Auszeiten gegönnt – für ihre Tête-à-Têtes mit ihrem Freund – oder mit Kairos.»
Der grinst und hebt erneut das Glas: «Bruder, damals hattest DU eindeutig die Nase vorne. Aber ich war mir ziemlich sicher: Meine Zeit wird schon noch kommen.»

 

Das Leben geht seine eigenen Wege
Blenden wir uns für einen Moment aus dem göttlichen Gespräch aus. Ich will erzählen, wie es mit mir weiterging: An meinem 50. Geburtstag gab ich ein rauschendes Fest. Alle meine Lieben waren da, mein geliebter Partner Christian, meine Kinder, meine Familie aus der Eifel, Kolleg*innen, Freund*innen. Und einen Plan hatte ich auch! Christian und ich würden endlich zusammenziehen, und zwar in der Nähe von Nürnberg, mein Sohn würde mit uns ziehen. Ich würde nach München pendeln müssen, aber wahrscheinlich nur ein- bis zweimal die Woche. Mich erwartete ein ruhiges, liebevolles und beständiges Leben. Dachte ich.
Mit 52 war mein Traum geplatzt. Christian hatte mich verlassen. Völlig überraschend. Er hatte sich Hals-über-Kopf in eine andere verliebt. In dieser schweren Zeit war ich froh, in meinem Beruf Halt und Anerkennung zu finden. Diese berufliche Sicherheit schwand allerdings in den nächsten Jahren mehr und mehr. Mit 55 beschloss ich, mich privat und beruflich neu zu erfinden. Konnte ich erneut auf die Unterstützung der Götter hoffen?

 

.

Von den Göttern getragen
Lauschen wir wieder in die Runde hinein. Gerade spricht Eros, der Gott der Liebe.
«Damals war Marie stocksauer auf mich, dass ich ihr ihren Christian genommen hatte
Athene kichert:
«Ja, sie hat sehr mit uns gehadert. Sie dachte, wir wollten ihr übel mitspielen. Sie konnte ja nicht wissen, was wir wussten, nämlich, dass wir noch etwas anderes mit ihr und ihrem Leben vorhatten.»
«Und diesmal, lieber Chronos», unterbricht Kairos das Gespräch, «wollte ich sie Dir nicht mehr so einfach überlassen. Es war an der Zeit, mich stärker in Eure Beziehung einzumischen.»
«Höre ich da etwa Eifersucht heraus?» bringt sich Artemis lächelnd ins Gespräch ein. «Ihr sprecht so, als wären Frauen eine Beute, die es unter Euch aufzuteilen gilt! Ich wette, Marie hätte da doch auch ein Wörtchen mitzureden. Oder etwa nicht?»
«Du sagst es, liebe Artemis», pflichtet ihr Athene bei, «über die Jahre hatte ich Marie ja bereits ausgiebig im strategischen Kampf unterrichtet, aber auch in Kunst und Weisheit. Und Du, liebe Artemis, hast sie die Selbstfürsorge gelehrt. Hast sie auf die Berge und in die Wälder geführt und ihr sogar das Reiten beigebracht. Jetzt, mit Mitte 50, die Kinder aus dem Haus, konnte Marie auf neue Art und Weise zeigen, was sie gelernt hatte.»

Mit Kairos in neue Abenteuer
Genau das tat ich dann auch. Kairos bot mir sagenhaft günstige Gelegenheiten an – ich musste nur immer schnell genug sein, ihn und damit sie am Schopf zu packen. Es begann eine aufregende berufliche Zeit, ich habe viel darüber geschrieben. Und Eros, der meinte es dann auch noch einmal gut mit mir und liess seinen Pfeil zu einem chaotischen, charmanten, charismatischen Philosophenfürsten fliegen.
Und damit bin ich für heute ans Ende meiner Geschichte angelangt.

Mein erster Lebens- und Bildungsweg führte mich von meinem kleinen Eifeldorf bis zur Kreisstadt. Mit 19 war ich ausgebildete Bankkauffrau – ich war am Ziel meiner beruflichen Träume angekommen! Doch da war so eine Sehnsucht in mir, eine Sehnsucht nach Lernen und Denken und Erfüllung.
Auf dem Köln-Kolleg holte ich mein Abitur nach. Neben der Schule zog ich durch Museen, gab mein ganzes Geld für Theater-, Ballett-, Konzertbesuche aus und lernte jede Menge aufregender Leute kennen. Weiter ging's nach München zum BWL-Studium. Erster Job in einer Unternehmensberatung.
9 Jahre später, verheiratet, Mutter einer 12 Monate alten Tochter, nach der Elternzeit den Job verloren, und wie von Zauberhand fand ich mich in einem Konzern wieder. Zweites Kind, Scheidung, alleinerziehend. Ein Wimpernschlag später: die Kinder aus dem Haus, den Job im Griff. Zeit, einen Gang zurückzuschalten. Oder ein Philosophiestudium zu beginnen.
Und so wandle ich derzeit auf dem dritten Bildungs- und Lebensweg. Manchmal hadernd ob der Kürze der Zeitspanne, die noch vor mir liegt. Manchmal zornig, wenn ich mal wieder die unsichtbare Altersdiskriminierung spüre. Und immer wieder neugierig, was mir diese spannende Phase von Mitte 50 bis Mitte 60 noch alles bringen wird. Darüber möchte ich schreiben. Meine Geschichten sollen eine Brücke bauen vom Ich zum Du, sie sollen Impulse geben, neue Perspektiven aufzeigen und zum Debattieren anregen.

Tricia Murtagh sagt:

Just testing.

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