Erstens kommt alles anders und zweitens als man denkt.

Erstens kommt alles anders und zweitens als man denkt.

Ferien planen, was gibt es Schöneres. Seit Jahren stand Irland auf meiner «To do»-Liste. Dieses Jahr wollte ich diese Reise mit meinem Partner und unserem VW-Bus in Angriff nehmen. Unabhängig und einsam durchs Land cruisen, Corona entfliehen und die Natur geniessen, das war Plan A, Bretagne war Plan B… Plan C hatten wir keinen, diesen hätten wir aber gebraucht. Bei meinem Partner war es dann die Arbeit, die Plan C einnahm, bei mir war es die ungewohnte Frage, was ich am Allerliebsten machen würde, wenn ich einfach so freie Zeit zur Verfügung hätte. So ganz alleine für mich, ohne Rücksichtnahme auf irgendjemanden. Die Antwort poppte postwendend auf … Meditieren, Schweigen und Bewegen. Gleich googelte ich los und wurde auch schnell fündig. Viel Spielraum gibt es ja zurzeit nicht, denn könnte ich eine Location dazu wünschen, dann wäre es bestimmt ein tropisches Land mit süssen Düften, prachtvollen Farben, feuchtem, hautverwöhnendem Klima und köstlichem Essen. Der Schwarzwald war dann die Alternative. Eigentlich kenne ich nur betagte Menschen, die da in die Ferien fahren. Dass es dort überhaupt sowas wie ein Meditations-Schweige-Yoga-Retreat gibt? Freudig, aber auch etwas unsicher buchte ich und begab mich kurz darauf mit dem Zug auf die Anreise.
Bestimmt kennen auch Sie beklemmende Gefühle bei gewissen Gegebenheiten. Bei den einen sind es Kirchenglocken, bei anderen der Geschmack von Spitälern, wieder andere kriegen Hühnerhaut beim Gedanken an Spaziergänge, Sport oder Klassentreffen. Bei mir lösten die Dörfer, die wir mit dem Regiozug durchquerten, beengende Reaktionen aus. In nette Worte gefasst war es das Kleinbürgerliche, das mir in seiner ganzen Entfaltung hier vor Augen erschien. Für diejenigen, die Harry Hasler kennen: Von dieser Gattung stiegen viele ein und aus. Bitte nicht angegriffen fühlen, aber der Dialekt dieser Gegend untermalte das Ganze perfekt. Ich war mir plötzlich nicht mehr sicher, ob das, was ich hier tat, richtig ist. Die Schutzmaske auf meinem Gesicht, die ich inzwischen seit drei Stunden trug, machte alles nicht erträglicher.

Umso befreiender war es, von einem netten jüngeren Australier abgeholt zu werden, zusammen mit einem ebenso jungen netten Hamburger, der auch angereist kam. Ich bin also nicht alleine in diesem Retreat, was auch noch eine aufkommende Angst war während dieser Zuganfahrt.
Bei der Ankunft begegneten mir weitere sympathische Menschen und meine Befangenheit verflog. Von wegen betagte Menschen! Ich stellte fest, dass ich mit zwei anderen den Status «betagt» mit Bravour trug, ich musste schmunzeln. Von Anfang 20 bis weit über 60 waren alle Altersklassen bei den 14 Teilnehmenden vertreten. Normalerweise würden um die 40 Menschen hier sein, dank Corona waren wir eine wirklich kleine Gruppe und hatten verschwendend viel Platz und Raum.
Ich freute mich auf das ayurvedische Nachtessen. Auch hier kam es anders, als ich dachte. Ayurvedisches Essen kannte ich nur vom Hören sagen. Bereits am zweiten Tag fand ich, dass alles ziemlich ähnlich schmeckte und ich eigentlich keine Zähne bräuchte. Die Freude war gross, wenn ich ab und zu in einen Apfel beissen durfte oder morgens ein Radiesli knacken konnte. Wessen ich mir aber sicher war: Alles wurde mit viel Liebe aus den frischen Ernten des hauseigenen Gartens angefertigt. Dies und die Stille des Schweigens liess das Essen dann doch zu einem einzigartigen Erlebnis werden. Und hätte ich zu viel Speck auf den Rippen, dann hätte ich mich auch noch gefreut, einige Kilos weniger nach Hause zu tragen.
Bereits am Ankunftsabend wurden wir in drei Atemtechniken eingeführt, die «Drei-Stufen-Atmung», «Bhastrika» und «Sudarshan Kriya». Das hatte ich irgendwie verdrängt… Atemtechniken… Bis anhin reizten mich diese nicht wirklich, jetzt musste ich mich dem stellen, eine ganze Woche lang, über Stunden. Etwas widerwillig liess ich mich darauf ein und auch hier kam es natürlich ganz anders, als ich dachte. Mittlerweile stehe ich täglich eine Stunde früher auf, um diese zu praktizieren, bevor ich mich ins Leben begebe!
Auch mit meinem Körper kam es anders als erwartet. Am ersten Abend wurden wir gefragt, was unsere Stärken sind. Eine meiner Antworten war: «Ich fühle mich fit wie ein Turnschuh und stark wie Arnold Schwarzeneggers Schwester». Am nächsten Morgen, nach sanftem Yoga und einer Meditation, die mir eher etwas befremdend vorkam, konnte ich nicht mehr still sitzen. Meine gesamte Rückseite vom Scheitel bis zur Ferse fiel in eine Art Dauerkrampf. Bewegte ich mich, war alles ok, sass oder lag ich still, dann war es unerträglich… und wir lagen und sassen viel! Ich verbrachte eine schlaflose Nacht. Es kostete mich einiges an Überwindung, am kommenden Morgen nach Hilfe zu bitten und mein körperliches Unwohlsein kund zu tun. Wie peinlich ist denn das? Fit wie ein Turnschuh! Die ganze Woche waren zwei Bettflaschen und ätherische Öle meine Dauerbegleiter, die meinen Körper hegten und pflegten. Ich lernte die Sprache meines Körpers deuten und war fasziniert, was er mir zu sagen hatte. Konnte ich meinen Geist abstellen, waren meine Schmerzen weg, kaum schaltete mein Kopf ein, wanderte der Schmerz quer durch meine Rückseite, eben genau dahin, wo er mir etwas mitteilen wollte. Das waren tiefgreifende Erfahrungen, für die ich unendlich dankbar bin.
Die Stille brechen, war dann eine ziemliche Herausforderung. Die einen schienen dies kaum erwarten zu können. Andere, wie auch ich, waren etwas unsicher und wussten nicht, was sie von sich geben sollten. Schön war es, die verschiedenen Geschichten der Teilnehmer zu hören. Manche unerwarteter Weise sehr berührend.

Ich verbrachte also eine Woche in Stille, wich Blicken aus, las nicht und hörte keine Musik. Ich verbrachte täglich Stunden in Meditation – was mich in einen Zustand versetzte, den ich am ehesten mit dem Zustand des entspannten Bekifftseins vergleichen würde – und mit Yoga, was eigentlich das am wenigsten Einschneidende war. Dass der Schwarzwald ein unglaublich kraftvolles Naturerlebnis bietet, das möchte ich hier noch erwähnen; also wirklich eine Reise wert ist… einfach die Dörfer meiden ; ))

Schwebend und immer noch verzaubert,
Helen

Die Oberfläche interessiert mich, vorallem wenn man dran kratzen kann.
Ich liebe es, Dinge zu hinterfragen, die Komfortzone zu verlassen, neue Türen zu öffnen und authentisch, bewusst und empathisch durchs Leben zu gehen. Als Künstlerin gebe ich weissen Flächen Lebendigkeit, als Fotomodel gebe ich Dingen ein Image, als Hair & MakeUp Artistin lasse ich Gesichter strahlen und als Trainerin für Körperhaltung & Tiefenmuskulatur fördere ich die Ausstrahlung und Gesundheit vieler Menschen.
Meine Töchter bezeichnen mich als modernen, inspirierenden, eleganten Hippie, der das Leben spüren will und sich voll und ganz hineingibt.

Ev sagt:

Dein Artikel – wunderbar – regt zur Nachahmung an

Helena Rinderknecht sagt:

absolut Eva ❣️ ich empfehle es auch weiter ❣️ es ist so bereichernd 🧚🏻‍♂️

Martina sagt:

Liebe Helen, ich bin Dir dankbar, das Du Deine „Schweigewoche“ Erfahrungen mit uns teilst. Allein beim Lesen ist es in mir ruhig geworden. Danke 😘

Helena Rinderknecht sagt:

Danke Martina für deine Worte 😘 das Retraet von „art of living“ ist eine unglaubliche Bereicherung 🧚🏻‍♂️❣️🧚🏻‍♂️

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