Ferien ohne Ende

Ferien ohne Ende

Um nicht frontal mit dem Alltag zu kollidieren, sollte man das Ende der Ferien so gut planen wie die Ferien selbst, findet unser Autor. Und der ist als Reisejournalist sozusagen Berufsferientechniker.

Man ist dann also mal wieder zuhause. Packt das I-love-NY-Shirt aus, mag es aber nicht anziehen. Findet die runtergehandelten Espadrilles aus Marrakech im Grunde fürchterlich. Und der Rosé von der Cote d’Azur will nicht schmecken, weil der Meeresduft in der Nase fehlt. Man realisiert: Die kaltglitschigen Tentakel des Alltagmonsters lassen sich definitiv nicht mehr abschütteln: Morgen wird der Trott von neuem losgehen. Wie nur kann ich das in den Ferien vom Leben ergaunerte Glück, diese Leichtfüssigkeit, dieses wohlige Aufgehen im Moment ein paar Tage, vielleicht sogar Wochen, konservieren?

 

Trick 1 beginnt noch vor den Ferien – mit der Planung. Ich weiss nicht, wie das bei Ihnen ist, aber bei mir dauert die erste Ferienhälfte gefühlt fünfmal so lange wie die zweite. So ab Hälfte Urlaub denke ich immer öfter ans Büro, und je weniger Ferientage bleiben, umso schneller fliegen sie vorbei. Deshalb versuche ich, Ausflüge, Museen, die ganze Action eben, in der ersten Hälfte unterzubringen und in der zweiten zu chillen – und zwar bis hin zur Langeweile. Ich gehe bewusst bekannte Wege nochmals, um mir das Gefühl zu geben, mit der fremden Welt vertraut und darum bestimmt bald bereit zu sein für die Rückkehr.

Auf dieser Basis kommt Trick 2 zur Anwendung: Das Haar in der Suppe finden. Darin sind wir Schweizer Weltmeister. Ein Ferienort kann noch so perfekt sein (was wir auf Instagram und Facebook nicht genug erwähnen können), trotzdem erwischen wir den langsamsten Kellner, einen überteuerten Liegestuhl, zu heisse/kalte Temperaturen, zu strenge Sitten, zu anstrengende Mitstreiter am Buffet. Wenn man in der zweiten Ferienhälfte wenig zu tun hat, kann man sich genüsslich über all das aufregen und sich auf daheim freuen, wo alles wieder so ist, wie wir es kennen (obwohl wir uns auch hier aufregen – aber immerhin in bekannten Parametern).

Trick 3 ist für jene, die ein derart sonniges Gemüt haben, dass sie sich über nichts in der Welt aufregen und jeden Serviettenhalter spannend finden. Also für Leute wie mich, haha. Nein, im Ernst: Als Reisejournalist kommt man immer wieder an märchenhafte Orte, wo einem das pure Glück aufgetischt wird. Sich da künstlich aufzuregen, wäre überheblich. Aber es gibt Dinge, die fühlen sich im schönsten Hotel nicht so gut an wie daheim. Bei mir zum Beispiel mein Bett. Die Lichtstimmungen am Morgen. Der Geruch nach Heimat. Der Garten, der sich unter meiner Hand verklärt. Daran (und vor allem an mein Bett) denke ich, wenn ich in einem Märchenhotel das Gefühl habe, nie mehr weg zu wollen.

Trick 4 ist mir heilig, erst mit ihm konnte ich meine Endferiendepressionen überwinden: Nicht auf den letzten Drücker heimfliegen! So verlockend das Ausreizen persönlicher Freizeit ist: Die Frontalkollision mit dem Alltag ist unvermeidlich. Ich kehre jeweils mittwochs oder donnerstags zurück – und habe daheim Gelegenheit, a) das Flipfloptempo weiterzuziehen, b) der Seele so viel Zeit für die Reise zuzugestehen, dass sie die erlangte Gelassenheit überhaupt erst konservieren kann und c) der Schadenfreude freien Lauf zu lassen, weil andere bei der Arbeit zu wissen, von zuhause aus noch schöner ist als am Strand.

Bislang ging es vor allem darum, wieder heim zu finden, ohne vor der Haustür loszuheulen, weil die Auszeit vorbei und der nächste Urlaub unendliche Weiten weit weg scheint. Das war also die Vorbereitung auf das, was jetzt kommt. Wir nähern uns der Königsdisziplin – der inneren Verlängerung des Feriengefühls durch aktive Verarbeitung. Zum Beispiel:

Trick 5: Persönlichen Reiseführer erstellen mit Notizen, Skizzen, Visitenkärtchen lohnenswerter Kneipen, Do’s und Don’ts; man weiss ja nie, vielleicht fragt mal jemand.

Trick 6: Einen Roman aus der Ferienregion lesen und quasi als Insider geistig nochmals hinreisen.

Trick 7: Unter den viel zu vielen Fotos (eigene Füsse vor Meer, exotische Drinks, Sonnenuntergänge) die besten raussuchen und ein Fotobuch erstellen.

Trick 8: Zu Musik aus dem Ferienland ein typisches Gericht kochen, Freunde einladen und ihnen Fotobuch und persönlichen Reiseführer aufzwingen.

 

Und dann gibt es noch diesen Film, der seit 50 Jahren gegen Fernweh hilft. Er ist so zeitlos, stilvoll und sommerlich, dass ihm selbst der heute langatmig empfundene Schnitt nichts anhaben kann, im Gegenteil. Trick 9: «The Endless Summer», das Film gewordene Urgefühl von Surfen, Sonne und Sommersinnlichkeit, ein Trancezustand ohne Drogen, Biobalance fürs Herz!

Sollte all dies nichts nützen, brauchen Sie’s auf die harte Tour. Ein Abenteuer muss her, damit Sie sich auch im langweiligen Alltag lebendig fühlen, frei, ein bisschen wie Indiana Jones halt. Trick 10: Übernachten Sie im Schlafsack auf der Dachterrasse, trotzen Sie Spinnen, Käfern und anderen Monstern und lassen Sie sich kurz vor Sonnenaufgang vom Vogelgezwitscher wecken. Die Magie des Aussergewöhnlichen ist es letztlich, die ein Feriengefühl prägt. Und dieses kann man überall haben. Man muss sich nur durchringen, ab und zu die Trampelpfade des Alltags zu verlassen.

Manchmal wird man vom Glück geküsst: Bei mir geschah dies auf der Redaktion der Schweizer Familie, die sich in den Neunzigern als Reportage-Magazin verstand und uns jungen Wilden mit besten Fotografen und lustigen Themen um die Welt schickte. Später wurde ich Reisereporter und Kolumnist bei der annabelle, bevor ich den Sprung in die Selbstständigkeit wagte – und mich das Glück abermals knutschte: Für meine Geschichten wurde ich mit dem Swiss Text Award und den Swiss Media Award ausgezeichnet.

Das schien mir der richtige Moment, um mir ein Mahnmal gegen meine Selbstzweifel anzuschaffen. Ich betrat ein Uhrengeschäft, und sofort war da dieser Reflex: die Faszination von Altem, Gebrauchtem. Von Dingen mit Geschichte. Die Verkäuferin redete mir die 1970er Vintage-IWC mit dem hellblauen Zifferblatt wieder aus: «Wenn es Ihre erste Uhr ist, fahren Sie mit einem Klassiker besser; sparen Sie sich die Eskapaden für später.» Die silbrig-schwarze Rolex Datejust, die ich heimtrug, stellte Erstaunliches mit mir an: Ich verfiel dem Wesen Uhr grundsätzlich, verschlang Bücher, abonnierte Magazine, recherchierte mich durchs Netz, blieb an Schaufenstern kleben und schaute selbst einer attraktiven Frau statt in die Augen fast lieber aufs Handgelenk.

Seit nunmehr über zehn Jahren verantworte ich unter anderem das beyond Magazin der Beyer Chronometrie, für das ich die Grossen der Branche interviewe, mindestens so fasziniert bin vom unglaublichen Können einfacher Uhrmacher und mich ganz grundsätzlich mit den Facetten der Zeit auseinandersetze. Davon berichte ich auf dieser Plattform – und wage zwischendurch einen anekdotischen Zeitsprung zurück in die Welt von damals, als man als Reporter noch richtige Abenteuer erleben durfte.

Andy Hostettler sagt:

Grossartig geschrieben, danke Matthias. Interessant, dass Du die Ferien nachliest. Trick 6. Ich lese meistens vor. Ich bin quasi ein Kriminaltourist. Jean Luc Bannalec (in der Bretagne), Viveca Sten (Schweden/Sandhamn), Camilleri (Sizilien), Pierre Martin (Südfrankreich). Jaja, zum Teil Cosy-Krimis. Oder im Fall von Bannalec tatsächlich vom Office de Tourisme bezahlt, aber eben auch mit vielen Hinweisen, was man vor Ort sicher sehen sollte und vor allem, was man essen sollte. Es kam nicht nur einmal vor, dass ich die ganze Familie nötigte, einen 5 stündigen Ausflug zu machen, um zum Beispiel la pâté de campagne im forêt broceliande zu kaufen. Auch die Markthallen von Saint Malo, oder das maison du beurre (Jean-yves Bordier) wurde mir von Jörg Bong (Bannalecs wahre Identität) empfohlen. Wie auch immer, ich wünsche Dir noch viele einzigartige Erlebnisse auf all Deinen Touren. Gruss Andy
(Apropos: Mankels Ystad ist todlangweilig).

Mats sagt:

Danke, Andy! Als Atmosphärenjunky hab ich halt immer die Befürchtung, dass ich die Stimmung aus dem Roman/Krimi suchen würde und enttäuscht wäre, wenn ich sie nicht fände 😉 Allerdings gehe ich in einer Woche nach Marseille – zum ersten Mal. Und da wummert natürlich Jean-Claude Izzos Trilogie nach, obwohl ich die Bücher zum letzten Mal vor vielleicht 15 Jahren gelesen hab. Auch er war ja ein grosser Kulinariker. Und ein noch grösserer Atmosphäriker. Ich bin gespannt. Alles Liebe Dir und viel Spass beim Lesenreisenundgeniessen! m.

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