Perspektivenwechsel
Seit 20 Jahren bin ich Chefin. Seit zwei Tagen das kleinste Rad im Getriebe. Das Team ist eingespielt, alle kennen ihre Position. Die Infektionsgefahr ist für die dialysepflichtigen Menschen auch ohne Corona sehr real. Und jetzt müssen zusätzlich neue Regeln befolgt werden. Distanz muss gewahrt und der Terminplan ganz genau eingehalten werden, damit bei Beginn und Ende der Behandlung nicht plötzlich zu viele gleichzeitig im Wartebereich sind. Um das Personal zu entlasten, bin ich frühmorgens und über Mittag auf der Station und begleite den Patienten vom Eingang (der nicht mehr auf Knopfdruck öffnet) über den Wartebereich bis zur Messstation. Dann übergebe ich an die Fachpersonen, die mithelfen, dass die kommenden 4 bis 5 Stunden möglichst bequem verbracht werden können. Es sind auch diejenigen, die Patienten an die Geräte anschliessen und die Blutwäsche überwachen.
Es ist ein ziemliches Gewusel. Ich will nicht auch noch im Weg stehen und würde gerne mehr helfen. Vielleicht in den kommenden Wochen, wenn ich Teil des Teams geworden bin und die Abläufe besser kenne. Ich bin ja auch nur 3 3/4 Stunden pro Tag auf der Station. Um 8 Uhr kann ich nach Hause und lesen, lernen, mit den Katzen spielen, kochen oder machen, auf was ich immer Lust habe, um um Viertel vor zwölf wieder im Korridor der Dialyse zu stehen und so gut es geht meiner Aufgabe nachzukommen.
Ich passe mich dem Tempo der Patienten an. Ich versuche, mir ihre Eigenheiten einzuprägen. Das ist nichts Neues. Aber meine einzige Verantwortung ist es, die Temperatur richtig einzutragen. Und darauf zu achten, dass die richtige Personenkarte in der Waage steckt.
Die Waage ist mit dem System verbunden und das Gewicht wird automatisch in die Krankenakte eingetragen. Für die Patienten scheine ich eine Funktion der Waage zu sein. Sie kommen alle schon so lange und regelmässig, dass sie davon ausgehen, dass jede/r weiss wie sie heissen und wo im Raum sie dialysiert werden. Aber ich störe ihre Routine. Ich halte sie zurück, wenn sie zu früh da und die Fachleute noch nicht bereit sind.
Es ist eigenartig, nicht diejenige zu sein, die die Regeln aufstellt. Nicht diejenige zu sein, deren Rat man sucht. Gelobt zu werden für Selbstverständliches, zu gehen, wenn alle anderen noch arbeiten.
Diese Zeit ist eine Zäsur in unser aller Leben, mal sehen, wie gestärkt wir daraus hervorgehen.
Sehr wertvoll. Danke, liebe Cynthia.
And you are a wonderful human being!!!
Es ist so ein Glück Dich kennen zu dürfen.
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