Über den Wolken
«Ein Zwiegespräch mit meinem Gewissen.»
«Bleiben Sie zu Hause!
Ein ganzes Jahr habe ich mich strikte daran gehalten. Man soll nicht reisen und keine unnötigen Risiken eingehen. Nicht nur um sich selber zu schützen, sondern vor allem seine Mitmenschen. Das stimmt! Da gibt es nichts einzuwenden. Mich nerven die Urlaubsposts mit ausgelassenen kulinarischen Orgien aus Dubai ebenso wie die unzähligen Sonnenuntergänge von den Malediven. Und warum nerven mich diese Fotos?
Weil man aus epidemiologischen Gründen nicht reisen soll oder weil es vielen wirtschaftlich schlecht geht und man sich solidarisch zeigt. Ferienfotos haben eine neue Bedeutung bekommen. Sie sind provokativ. Warum empfinde ich das so? Wovon habe ich mich anstecken lassen?
Ich mach’s kurz.
Seit fünf Stunden sitze ich im Flieger und weitere sieben haben ich noch vor mir. Auf meinem Ticket steht geschrieben: Costa Rica. Die Maschine der Edelweiss ist bis zum letzten Platz besetzt. Jeder, der hier Platz genommen hat, trägt in der Tasche einen negativen Covid-Test, der nicht älter als maximal 72 Stunden ist. Zudem ist auf dem ganzen Flug absolute Maskenpflicht. Beim Rückflug wird jeder Einzelne hier einen neuen Befund mit sich führen und der wird negativ sein, sonst gibt’s keinen Platz im Flieger. Da sind die Fluggesellschaften wie Pitbulls. Meiner epidemiologischen Wahrnehmung nach gibt es also wenig Grund, diesen Flug nicht anzutreten. Meine Freundin und ich ziehen uns eh in den Jungle zurück, und da gibt es viele Tiere aber wenig Kontakt zu Menschen. Es geht dann wohl doch mehr um Solidarität. Das ist tatsächlich ein Punkt, den ich nicht einfach verdrängen kann. Ich muss hier ja nicht aufzählen, wie sehr einzelne Wirtschaftszweige in Mitleidenschaft gezogen wurden. Mein Zweig ist es übrigens auch. Seit dem zweiten Lockdown habe ich praktisch keine Jobs mehr. Alles «verschoben» oder abgesagt. Faktisch sitze ich seit Wochen zu Hause.
Wie asozial bin ich, dass ich diese Reise mache? Meine Antwort liegt im Moment 10’000 Meter unter mir und sie bewegt sich Richtung Palmen.
Solidarität
Interessant an meinem Gespräch mit mir ist die Auseinandersetzung mit dem Begriff Solidarität. Warum habe ich mich die letzten 35 Jahre nie solidarisch gezeigt gegenüber all den Mitmenschen in der Schweiz, die sich finanziell überhaupt nie eine Reise leisten können? Vermutlich, weil es gesellschaftlich nie relevant war. Aber jetzt scheint es das zu sein, und ich bin soeben zu einem Egoisten geworden…
…aber die Freiheit über den Wolken ist im Moment grenzenlos.
Schönste neue Erfahrungen und bereichernde Momente wünsche ich dir lieber Reiner❣️
Lieber Rainer, ich wünsche Dir einen schönen Urlaub – ganz ohne schlechtes Gewissen.
Schöne Grüße
Gerda-Marie
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