Ikonen (1): Wendezeit
Sie ist dieses Jahr 90 geworden und gilt als einer der grossen Klassiker der Uhrengeschichte: die Reverso von Jaeger-LeCoultre. Jede:r halbwegs Uhrenbegeisterte kennt das einzigartige Wendegehäuse. Und doch wissen nur wenige, wie es zu dieser Erfindung kam – obwohl die Geschichte mindestens so gut ist wie die Uhr selbst. Sie geht folgendermassen:
César de Trey, ein Schweizer Uhrenimporteur, reist 1930 nach Indien. Man tafelt im Club, geht jagen und trifft sich bei dieser fancy Sportart, die bei den Offizieren der britischen Armee gerade en vogue ist: dem Polo, einer Art Hockey auf Pferden. Und man ist sich einig: ein tolles Spiel – wenn nur die Stockschläge nicht am laufenden Band Uhrengläser zerbersten liessen. Vielleicht muss man hier noch erwähnen, dass die Polospieler ihre Uhren niemals ausziehen würden: Sie sind das Merkmal einer progressiven Einstellung, während konservative Kreise zu diesem Zeitpunkt noch immer auf ihre gute, alte Taschenuhr schwören.
César de Trey jedenfalls verspricht den Briten, sich des Problems anzunehmen, reist zurück in die Schweiz, trifft den umtriebigen Uhrmacher Jacques-David LeCoultre, der wiederum seinen Pariser Kollegen René-Alfred Chauvot ins Spiel bringt, der für seinen grenzenlosen Einfallsreichtum bekannt ist.
Zusammen entwickeln die drei etwas derart Neues, dass sich die Welt die Augen rieb: eine Uhr, die sich durch sanften Druck drehen lässt, damit Zifferblatt und Glas vom stabilen Gehäuseboden geschützt werden. Nicht nur in Sportlerkreisen kommt die Innovation gut an. Auch die bessere Gesellschaft erwärmt sich schnell für die neue Uhr, die sich bei Bedarf in ein Schmuckstück verwandeln lässt. Entsprechend sind die Gehäuseboden immer prächtiger geschaffen.
Doch dann kommen die 1940er Jahre, der Trend verlangt nach wasserdichten, also runden Uhren, die Nachfrage nach kaum abdichtbaren rechteckigen Uhren sackt in den Keller, der Gehäuselieferant stellt seinen Betrieb ein, Jaeger-LeCoultre stoppt die Reverso-Produktion.
Es ist dem legendären Günter Blümlein zu verdanken, dem «Hayek der siebziger Jahre», dass die Reverso nicht vollends in Vergessenheit gerät. Als Sanierer der in Schieflage geratenen Manufaktur erkennt er 1972 das Potential der eigenwilligen Uhr und leitet ihre Renaissance ein. Tatsächlich erlebt die Reverso einen kometenhaften Aufstieg und wird nicht nur zur Lebensretterin der Uhrenfirma von Le Sentier, sondern auch zu ihrem unangefochtenen Aushängeschild.
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