Psychologie der Männeruhr

Psychologie der Männeruhr

Irgendwann legen selbst die Hartgesottenen unter uns den ach so wilden Ohrring ab und die Lederbänder am Handgelenk. Sollte da auch noch eine lustige Quarzuhr baumeln, landet sie gleich mit in der Kartonschachtel, die als Sarg der eigenen Jugendlichkeit dient. Im besten Fall gesteht sich der Mann nun seinen Erwachsenenstatus ein. Er hat einen grossen Schritt hinter sich.

Von diesem Moment an ist es nicht mehr weit bis zur Frage nach der richtigen Uhr; sie ist mit einem Dilemma verbunden. Denn selbst der Fantasieloseste unter uns kann sich ausmalen, dass er künftig mitunter an dieser Uhr gelesen wird. Darum muss sie nicht nur seine Persönlichkeit widerspiegeln, sondern sie am besten noch etwas straffen. So gesehen ist dem Mann die Uhr, was der Frau der Wonderbra.

Natürlich darf die Uhr nicht prahlerisch wirken, aber vielleicht doch so, dass man ihr den Wert ansieht. Mit ihrem marketingtechnisch aufgeladenen Habitus soll sie das Image ihres Trägers in eine interessante Richtung lenken. Und, klar: Ein bisschen was über Haltung und Geschmack soll sie schon auch anklingen lassen.

 

 

 

Der Mann steht also vor einem Problem: Neue, qualitativ gute mechanische Uhren (und es muss eine mechanische sein) gibt es zwar schon ab 1000 Franken, aber die sind selten von tragendem Charakter. Sagen wir also, eine adäquate Auswahl beginnt bei Tag Heuer (Carrera Calibre 5) und führt über Breitling (Navitimer Automatic 41) zu IWC (Pilot’s Watch Mark XVIII). Doch, oh weh!, von hier ist es zur Rolex Datejust nicht mehr weit, und Rolex ist das Geld ja immer wert, allerdings kann sie auch als Klischee-Uhr missinterpretiert werden. Also vielleicht doch geheime Reserven anzapfen für eine ultimative Edelikone wie die Royal Oak von Audemars Piguet?

So kann es ewig weitergehen (und wir sind ja erst bei den sogenannten Einsteigermodellen). Was sicher ist: Am Schluss tendiert der Mann dazu, mehr Geld auszugeben für die eine, also seine Uhr, als er sich ursprünglich schwor. Und die Frau an seiner Seite wird dazu neigen, dies etwas übertrieben zu finden. Aber hey – fast so wichtig, wie mit wem man sich bindet, ist doch, was man sich umbindet!

Manchmal wird man vom Glück geküsst: Bei mir geschah dies auf der Redaktion der Schweizer Familie, die sich in den Neunzigern als Reportage-Magazin verstand und uns jungen Wilden mit besten Fotografen und lustigen Themen um die Welt schickte. Später wurde ich Reisereporter und Kolumnist bei der annabelle, bevor ich den Sprung in die Selbstständigkeit wagte – und mich das Glück abermals knutschte: Für meine Geschichten wurde ich mit dem Swiss Text Award und den Swiss Media Award ausgezeichnet.

Das schien mir der richtige Moment, um mir ein Mahnmal gegen meine Selbstzweifel anzuschaffen. Ich betrat ein Uhrengeschäft, und sofort war da dieser Reflex: die Faszination von Altem, Gebrauchtem. Von Dingen mit Geschichte. Die Verkäuferin redete mir die 1970er Vintage-IWC mit dem hellblauen Zifferblatt wieder aus: «Wenn es Ihre erste Uhr ist, fahren Sie mit einem Klassiker besser; sparen Sie sich die Eskapaden für später.» Die silbrig-schwarze Rolex Datejust, die ich heimtrug, stellte Erstaunliches mit mir an: Ich verfiel dem Wesen Uhr grundsätzlich, verschlang Bücher, abonnierte Magazine, recherchierte mich durchs Netz, blieb an Schaufenstern kleben und schaute selbst einer attraktiven Frau statt in die Augen fast lieber aufs Handgelenk.

Seit nunmehr über zehn Jahren verantworte ich unter anderem das beyond Magazin der Beyer Chronometrie, für das ich die Grossen der Branche interviewe, mindestens so fasziniert bin vom unglaublichen Können einfacher Uhrmacher und mich ganz grundsätzlich mit den Facetten der Zeit auseinandersetze. Davon berichte ich auf dieser Plattform – und wage zwischendurch einen anekdotischen Zeitsprung zurück in die Welt von damals, als man als Reporter noch richtige Abenteuer erleben durfte.

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