Marie-Antoinette auf Erdbeere

Wir essen nicht, um uns nur zu sättigen, sondern auch um unsere Fantasie zu beleben und dabei auf genüssliche Abwege zu geraten.

Als Hauptspeise werden zart-rosa gebratene Lammkoteletten auf einem Knoblauch-Kartoffelstock mit frischen Erbsen serviert. Ein wunderbar würziger Kontrast zur Vorspeise. Hier liegt die Provence mit ihren ländlichen Geschmäckern, einem Hauch Rosmarin und einer Prise Fleur de Sel unprätentiös vor uns auf dem Teller. Eine Landschaft, die auf der Zunge vergeht, und dabei doch noch etwas von ihrer Wildheit bewahren konnte. Mit Sicherheit sehr klassisch, aber köstlich inszeniert.

Auf dem Parkett hat sich das Drehen, Wenden, Hopsen und Hüpfen zu einem trägen Umherschlendern verwandelt. Man betreibt jetzt höfische Konversation, lächelt hinter fein bemalten Fächern hervor und streicht sich mit einem parfümierten Tüchlein sehr lasziv über das vom Tanz errötete Dekolleté. Die Spannung ist durchaus mit den Händen zu greifen. Und dann ist es endlich soweit. Marie-Antoinette schreitet in den Saal, als würde sie ein Hochzeitskleid von Vivienne Westwood auf dem Catwalk präsentieren.

Das Dessert, eine «Verrine de Fraise et crème de Mascarpone avec Spéculos», ist eine fruchtig-frische Verführung, die ihre süssen Geheimnisse erst allmählich in unseren Gaumen flüstert. Eine Anmerkung zuerst, dann ein Gerücht und schliesslich die absolute, sich offenbarende Wahrheit. Es ist Marie-Antoinette, die zu uns spricht, warm und vertrauensvoll, entspannt und fröhlich. Denn schliesslich ist die Revolution schon mehr als zweihundert Jahre Vergangenheit. Was zählt, ist das Heute.

Draussen, wieder zurück im 21. Jahrhundert, blicken wir in die wolkenlose Nacht. Meine barocken Fantasien sind noch nicht ganz verblichen, da erkenne ich am Himmel einen letzten Gruss der Marie-Antoinette. Eine lange, gepuderte Haarsträhne. Dass mir mein Mann einreden will, das sei die Milchstrasse, lächle ich mit Nachsicht weg. Wahrscheinlich hat er einfach zu viel getrunken.